Sicherheitsgewinn mit Systemlösungen
Bewehrungsschraubanschlüsse und Rückbiegebewehrungen im Verwahrkasten sind anwendungsfreundliche Systemlösungen für Bewehrungsanschlüsse zwischen verschiedenen Bau- oder Betonierabschnitten. Für das Verbinden von Beton-Fertigteilwänden und -stützen erfüllen diesen Zweck bauaufsichtlich zugelassene, flexible Seilschlaufen sowie Stützenschuhe. Während früher im Übergangsbereich der Bewehrung die Schalungen häufig durchtrennt wurden, lassen sich durch Bewehrungsanschlüsse auch moderne Schalungselemente einfacher und schneller nutzen.
Schraubanschlüsse sind Gewinde am Ende von konventionellem Betonrippenstahl, die auf der Baustelle in die Muffenstäbe des ersten Betonierabschnitts eingeschraubt werden. Die verschraubten Anschlussstäbe ersparen doppelte Bewehrungslagen im Fugenbereich, was vor allem bei hochbewehrten Bauteilen wie Stützen extreme Bewehrungskonzentrationen vermeidet. Hochwertige, allgemein bauaufsichtlich zugelassene Schraubverbindungen gewährleisten einen sicheren Kraftschluss, sowohl bei ruhenden als auch nicht ruhenden Belastungen. Rückbiegebewehrungen im Verwahrkasten werden als Komplettsysteme geliefert und einfach mit dem Verwahrkasten an der Schalung des ersten Betonierabschnitts befestigt. Nach dem Ausschalen werden die Bewehrungsstäbe für den angrenzenden Abschnitt aus dem Kasten herausgebogen (rückgebogen). Rückbiegebewehrungen benötigen keine bauaufsichtliche Zulassung. DIN 1045-1 [1] bezieht sich auf das DBV-Merkblatt „Rückbiegen von Betonstahl und Anforderungen an Verwahrkästen“ [2], welche die Anwendungsbedingungen regelt.
Flexible Seilschlaufen in Einzelboxen oder auch als Schienenprofile werden im Fertigteilwerk an die Schalung der Elemente genagelt. Auf der Baustelle müssen lediglich die Seilschlaufen der sich gegenüberliegenden Fertigteile herausgeklappt und ein Längsstab als Spaltbewehrung in den Überlappungsbereich eingebaut werden. Anschließend ist die Fuge mit einem hochfesten Beton zu vergießen. Für tragende Verbindungen sind die Bemessungswiderstände bauaufsichtlich geregelt, sodass auch mehrere Fertigteilwände zu einer gesamten aussteifenden Wandscheibe verbunden werden können.
Stahlbeton-Fertigteilstützen können heute deutlich wirtschaftlicher montiert werden. Für den Anschluss an Fundamente oder biegesteife Stützenriegelverbindungen stehen moderne und montagefreundliche Systeme zur Auswahl.
Egal ob Schraubanschluss, Rückbiegebewehrung, flexible Seilschlaufen oder Stützenschuhe, moderne Systemanschlüsse kommen ohne herausstehende Stäbe am Bauteilübergang aus. Dadurch verringert sich das Verletzungsrisiko auf der Baustelle oder gegebenenfalls am fertigen Bau. Dies gibt ausführenden Unternehmen ein hohes Maß an Flexibilität in den Bauabläufen und garantiert dem Investor eine fristgerechte Fertigstellung des zu errichtenden Bauwerks. Weiterhin erleichtert die Verwendung dieser Produkte die Planung und Ausführung wesentlich. Durch die werksseitg profilierten Verwahrkästen werden garantierte Rauigkeiten gewährleistet und hohe Qualitätskriterien erfüllt.
Der folgende Artikel beleuchtet wesentliche Aspekte bei der Verwendung solcher Systemlösungen.
Besondere Regelungen für Rückbiegeanschlüsse
Zur Vereinfachung der Schalarbeiten an Betonierabschnittsgrenzen, die von Bewehrungsstäben gekreuzt werden, dürfen dünnere Bewehrungsstäbe (ds≤ 14 mm) zunächst abgebogen eingebaut und nach dem Ausschalen in ihre planmäßige Anschlusslage zurückgebogen werden. Anforderungen, Regelungen und Hinweise für das Rückbiegen finden sich detailliert im DBV-Merkblatt „Rückbiegen und Anforderungen an Verwahrkästen“ [2].
Vorgefertigte Bewehrungsanschlüsse
Zur Rationalisierung der Bewehrungsarbeiten werden abgebogene Stäbe in sogenannten Verwahrkästen zusammengefasst und unter verschiedenen Produktnamen als vorgefertigte Bewehrungsanschlüsse angeboten (Abb. 1).
Als vorgefertigte Bewehrungsanschlüsse werden hier vorgefertigte Elemente zum Herstellen von Übergreifungsstößen der Bewehrung an Betonierabschnittsgrenzen bezeichnet, wobei die Anschlussstäbe in einem Verwahrkasten zunächst so abgebogen sind, dass sie die Schalung des ersten Betonierabschnitts nicht durchdringen. Die Anschlussstäbe werden nach dem Ausschalen in ihre Solllage zurückgebogen. Sie können auch ohne Stoß als Bewehrung von kurzen Konsolen o. Ä. verwendet werden.
Anforderungen
Vorgefertigte Bewehrungsanschlüsse sind im Markt in unterschiedlichsten Ausführungen vorhanden. Sie unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Anordnung und Form der Bewehrungsstäbe sowie die Art der Profilierung des Verwahrkastens. Je nach Profilierung der Verwahrkästen erfolgt die Einordnung in die Rauhigkeitskategorien (vgl. Abb. 2 und Tab. 1) nach DIN 1045‑1, was durch Versuche nachgewiesen werden muss. An die Geometrie und Steifigkeit von Verwahrkästen werden spezielle Anforderungen gestellt, um einen sicheren Einbau sowie ein Funktionieren im Bauwerk zu gewährleisten. Daher müssen in den Herstellerangaben mindestens folgende Angaben enthalten sein:
» Betonstahlsorte
» Stabdurchmesser, Stababstände
» Abmessungen der Stabformen, nutzbare Anschlusslägen
» Abmessungen und Werkstoffe der Kästen
» Lage der Stabdurchdringungen
» Nachweise der Kastenprofilierungen
» Ggf. Korrosionsschutz
Planung
Bewehrungsanschlüsse müssen in den Ausführungszeichnungen mit Angabe des Fabrikats und Typs eingetragen werden. Für eine Alternative mittels gleichwertiger Bewehrungsanschlüsse muss mindestens
» die Verwahrkastenbreite
» Stabdurchmesser und –abstand,
» Materialgüte,
» Oberflächenbeschaffenheit
angegeben werden. Dies bedeutet, dass die oftmals gebräuchliche Angabe „Firma X, Typ Y oder gleichwertig“ nicht ausreichend ist. Im Übrigen sind solche Änderungen nur mit Zustimmung des Tragwerkplaners zulässig. Für die Ermittlung der für die Bemessung auf Biegung und Querkraft anzusetzenden Flächen im Kastenbereich gilt Abb. 3 nach DBV-Merkblatt [2]. In den Fällen a und b wirkt die Rückhängebewehrung als Verbundbewehrung in der Fuge, die Querkraft wird parallel zur Fuge übertragen. Von den Fällen c und d werden gelenkige Linienlager erfasst. Die Rückbiegebewehrung fungiert als Längsbewehrung des angeschlossenen Bauteils, wobei die untere Lage die Biegebewehrung der Platte übergreift und die obere Lage nur konstruktiv erforderlich ist. Wird die obere Lage tragend angesetzt, so ist ein eingespannter Anschluss nach Fall e nachzuweisen. Hierzu zählen im Allgemeinen Treppenpodeste und Konsolen.
Ausführung
Die Kästen sind lagegenau und unverschieblich auf der Schalung gemäß Ausführungszeichnungen zu befestigen. Auf die Einhaltung der Betondeckungen ist dabei besonders zu achten. Wenn die Bewehrung in den Kästen nicht richtungstreu und unverschieblich befestigt ist, muss sie mit der Anschlussbewehrung des jeweiligen Betonierabschnitts verbunden und damit in der richtigen Lage festgehalten werden. Verwahrkästen dürfen nur dann im Bauwerk verbleiben, wenn die Steifigkeit des Kastenmaterials selbst mindestens der des Betons entspricht. Dies bedeutet, dass Kunststoffkästen restlos entfernt werden müssen. Vom Beton abgelöste und/oder hohl liegende Kästen müssen ebenfalls entfernt werden oder durch Nachinjizieren dauerhaft mit der Betonoberfläche verbunden werden. In Abb. 4 ist die prinzipielle Montage dargestellt.
Besonderheiten von flexiblen Bewehrungsanschlüssen
Verbindungen von Betonelementen können nicht nur unter Verwendung von üblichen Bewehrungsstäben, sondern auch von Schlaufenelementen realisiert werden. Abb.5 zeigt marktübliche Systeme.
Vorteil dieser flexiblen Bewehrungsanschlüsse ist, dass damit auch Betonfertigteilelemente auf Lücke eingebaut werden können (Abb. 6).
Prinzipiell können in Fugen folgende Kräfte wirken:
» Zugkräfte senkrecht zur Fuge
» Querkräfte parallel zur Fuge
» Querkräfte senkrecht zur Fuge
Bei Zugkräften senkrecht zur Fuge stellen sich als Folge der Seilschlaufen-Verformungen bei relativ geringen Seilkräften schon Rissbreiten von 0,4 mm in der Fuge ein. Aus diesem Grund sind nach den bisher erteilten allgemeinen bauaufsichtlich Zulassungen Zugkräfte senkrecht zur Fuge nicht erlaubt. Auch für die aus den Querkräften senkrecht zur Fuge entstehenden inneren Zugkräfte mussten zusätzliche statische Maßnahme (z. B. Ringanker) vorgesehen werden.
Seit kurzem ist die Ableitung von Zugkräften senkrecht zur Fuge Bestandteil einer Zulassung [11]. Hier können nun planmäßig Zugeinwirkungen über das System abgeleitet werden. Auch auf Ringanker o. ä. kann zudem verzichtet werden. Einzelheiten sind in [11] dargestellt.
Querkräfte parallel zur Fuge können beispielsweise aus der Längsaussteifung eines Gebäudes gegen Windlasten resultieren. Ein Modell zur Übertragung dieser Querkräfte über die Fuge ist in Abb. 8 dargestellt. Dabei wird die in der Fuge auftretende Querkraft in eine Zug- und eine Druckstrebe zerlegt. Die Größe der Druck- bzw. Zugkraft hängt vom Winkel a ab. Entsprechend der in Bild 12 gezeigten Modellvorstellung bildet sich zwischen den Verwahrkästen gegenüberliegender Fertigteile eine geneigte Druckstrebe aus. Die Zugkraft wird an die sich überlappenden Seilschlaufen übertragen.
In besonderen Fällen können auch Querkräfte senkrecht zur Fuge auftreten. Dies kann beispielsweise bei durch Erd- oder Winddruck beanspruchten Bauteilen auftreten. Für die Übertragung von Querkräften senkrecht zur Fuge (Abb. 9) ist die Fugengeometrie von besonderer Bedeutung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich zwischen den Betonflanken der gegenüberliegenden Betonfertigteile eine Druckstrebe entsprechend Abb. 9 ausbildet. Die Zugkraft wird auf die sich überlappenden Seilschlaufen übertragen.
Bei gleichzeitiger Einwirkung von Querkräften parallel und senkrecht zur Fuge (Abb. 10) sind systemabhängige Interaktionsdiagramme zu beachten.
Die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung bezieht sich auf Bauteile unter vorwiegend ruhender Belastung. Kann eine Zwangsbeanspruchung der Stahlbetonfertigteil-Verbindung aus Temperaturänderung oder freier Bewitterung nicht ausgeschlossen werden, ist ein Nachweis über die Begrenzung der Rissbreite zu führen. Dabei ist nachzuweisen, dass die Rissbreite im Bereich der Stahlbetonfertigteil-Verbindung infolge dieser Beanspruchung auf wk ≤ 0,3 mm beschränkt bleibt. Infolge Querkraftbeanspruchung ergeben sich keine zusätzlichen Rissbreiten. Bei Querkraftbeanspruchung senkrecht zur Fuge ist zur Aufnahme der in der Fuge auftretenden Spreizkräfte entsprechend DAfStb Heft 525 [12] eine Zugkomponente zu berücksichtigen, die mindestens das 1,5fache der senkrecht zur Fuge übertragenen Querkraft beträgt.
Montage der Fertigteile
Die Wandbauteile werden in der angestrebten Verbindungsart entweder auf ein Mörtelbett oder Unterlegplatten gesetzt und ausnivelliert. Die Bauteilfuge hat in der Regel eine Breite von 20 mm mit einem Toleranzfeld von -10 mm/+20 mm. In vertikaler Richtung sollen sich die Schlaufen gegenüberliegend berührend überlappen bzw. maximal einen Abstand von 20 mm aufweisen. Nach dem Ausrichten der Schlaufen wird von oben ein Bewehrungsstab ø 12 mm durch die Schlaufen geschoben und die Fugen seitlich abgeschalt. Der Untergrund muss gut gereinigt sein. Lose und hafthemmende Teile sowie Zementschlämme, Schalöle u. Ä. müssen durch geeignete Maßnahmen entfernt werden. Die Fugen werden mit dem zum System gehörenden hochfesten, schwindarmen Vergussmörtel kontinuierlich verfüllt. Üblicherweise sind Verfüllhöhen bis 3,5 m möglich.
Der schwächste Punkt einer Fugenverbindung ist immer der Fugenverguss. Nur wenn die Fugen einwandfrei und vollständig vergossen sind und eine ordnungsgemäße Verdichtung des Fugenbetons sichergestellt ist, können die Fugenverbindungen die angreifenden Kräfte einwandfrei übertragen.
Stützenschuhsysteme
Stützenschuhsysteme bestehen in der Regel aus einem Teil zur Verankerung im Fundament („Fundamentanker“) und einem weiteren Element, welches in die Fertigteilstütze integriert ist („Stützenschuh“). Die Verbindung erfolgt über das Gewindeende der Fundamentanker oder Verbindungsanker, Durchgangslöchern in den Stützenschuhen sowie Muttern. Nach Montage der Stützen muss die Fuge durch geeignete Mörtel vergossen werden.
Stützenschuhsysteme bieten erhebliche Vorteile für die bei Planung, Herstellung, und Montage beteiligten Unternehmen (vgl. Tabelle 2).
Planung und Bemessung
Bei der Planung und Bemessung von Stützenschuhsystemen sind im Allgemeinen die nachfolgend aufgeführten Tragfähigkeits-Nachweise (Tabelle 3) zu führen. Weiterhin sind Anforderungen an den Korrosions- und Brandschutz zu beachten.
Besondere Aufmerksamkeit ist der Bemessung der Endverankerung im Fundament zu widmen. Bei geraden oder abgebogenen Stabenden erfolgt die Bemessung der Endverankerung bzw. der Übergreifungsstöße gemäß DIN 1045‑1 oder EC 2. Die Kraftweiterleitung bzw. Rückverankerung der Kräfte im angrenzenden Bauteil ist vom verantwortlichen Ingenieur bzw. Planer selbst nach den gültigen Normen bzw. Regeln und dem Stand der Technik nachzuweisen. Dies ist nicht Bestandteil der Zulassungs- bzw. Einbauanleitungen der Hersteller solcher Systemprodukte. Querzugspannungen im Verankerungs-bzw. Übergreifungsbereich sind durch entsprechende normgerechte Zusatzbewehrungen aufzunehmen.
Sollen Querkräfte übertragen werden, müssen zusätzliche Nachweise bzw. konstruktive Maßnahmen ergriffen werden (siehe Abb. 11).
Die Verwendung von Systemlösungen bieten erhebliche Vorteile bei der Planung und dem Bauablauf. Durch Anwendung der gezeigten modernen Bauweisen lassen sich erhebliche Vorteile hinsichtlich Schnelligkeit, Sicherheit und Qualität erreichen.
Thomas Sippel
References / Literatur
[1] DIN 1045-1,3: 08-2008 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton
[2] DBV-Merkblatt Rückbiegen und Anforderungen an Verwahrkästen (Fassung Januar 2008) Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e.V., Berlin
[3] Martin, H.; Schießl, P.; Schwarzkopf, M.: Untersuchungen zur Rückbiegefähigkeit von Betonstählen, Bericht des Instituts für Betonstahl und Stahlbetonbau e.V., München, Dezember 1982.
[4] Rehm, G.; Rußwurm, D.: Untersuchungen der Eigenschaften von zurückgebogenen Betonstählen, Bericht der Prüfstelle für Betonstahl Prof. Rehm, München, November 1982.
[5] DIN 488-1: Betonstahl; Sorten, Eigenschaften, Kennzeichen.
[6] Bertram, D.: Betonstahl, Verbindungselemente, Spannstahl; Betonstahl-Verbindungen mit Zulassung. In: Beton-Kalender 2001/1, Ernst & Sohn, Berlin, S. 173-189.
[7] Rehm, G.; Rußwurm, D,: Warmbiegefähigkeit von Betonstählen. Betonwerk + Fertigteil-Technik 46, Heft 7/1980, S. 431-435.
[8] Unterlagen der Fa. Halfen GmbH, Langenfeld
[9] Unterlagen der Fa. H-Bau, Klettgau
[10] Unterlagen der Fa. Max Frank GmbH & Co. KG, Leiblfing
[11] Unterlagen der Fa. Pfeifer, Memmingen
[12] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton Heft 525: Erläuterungen zu DIN 1045-1, Beuth Verlag, Berlin 2003.