INTERVIEW

Als Betonwerker mehr als vier Jahre lang „auf der Walz“

Bereits im Spätmittelalter begegnete man auf Europas Straßen den wandernden Handwerksgesellen, und diese uralte Tradition lebt bis heute – sogar weltweit – fort: Der Begriff Wanderjahre (auch Wanderschaft, Walz, Tippelei, Gesellenwanderung) bezeichnet laut Wikipedia die Zeit der Wanderschaft zünftiger Gesellen nach dem Abschluss ihrer Lehrzeit (Freisprechung). Diese sollten vor allem neue Arbeitspraktiken, fremde Orte, Regionen und Länder kennenlernen sowie Lebenserfahrung sammeln. Dabei reicht die sogenannte „Bannmeile“ 50 Kilometer um den früheren Wohnort herum, die nicht überschritten werden darf.

Neben einem hohen Prozentsatz an Zimmerleuten sind auch Gesellen anderer Gewerke auf Wanderschaft, unter anderem Betonbauer. Einer dieser Wandergesellen hat seine Erinnerungen für die BFT International im nachfolgenden Interview zusammengefasst.

BFT International: Lieber Ralf, zugegebenermaßen beneide ich Dich ein wenig. Als ich Anfang der 1980er Jahre in Dresden meine eigene Ausbildung zum Maurer und Betonbauer absolvierte, war aufgrund der vorherrschenden politischen Verhältnisse in der ehemaligen DDR – z. B. in Form von Reisebeschränkungen – an eine Wanderschaft bis hinüber nach Übersee, wie Du sie absolviert hast, nicht im Entferntesten zu denken. Was genau waren Deine Beweggründe dafür?

Ralf Keßler: Schon immer zog es mich in die Fremde, daher wollte ich schon zum Lernen raus aus der Provinz und bewarb mich in Berlin um eine Lehrstelle als Beton- und Stahlbetonbauer, die ich im August 2012 erfolgreich abschloss. Obwohl mir die Firma gut gefiel und spannende Perspektiven bot, wollte ich weiter, um noch mehr vom Handwerk und der Welt zu sehen, und begab mich noch im Jahr meines Abschlusses auf die Wanderschaft. Ich schloss mich der Gesellenvereinigung „Fremder Freiheitsschacht“ an und trug fortan die Rote Ehrbarkeit und zum Zeichen der Verbindung aus Holz und Stein zu Beton eine Grau-Schwarze Kluft.

BFT International: Du hast also gewissermaßen in der Heimat die ersten Erfahrungen auf mehreren Stationen gesammelt, um dann später in die große weite Welt zu ziehen?

Ralf Keßler: Genau so könnte man es sagen: Ich startete im Dezember 2012, und meine erste Arbeitsstelle fand ich im Allgäu bei einem Landwirt, dessen Kuhstall zu erweitern war. Dabei lernte ich, dass es unter jedem Kuhstall ein kompliziertes System aus Schwemmkanälen, Staustufen und Lagerbecken gibt, die es zu betonieren galt. Morgens Beton, abends Kühe melkend, verbrachte ich dort eine schöne Zeit, bis es endlich Frühling wurde und ich weiterziehen konnte.

Zu Fuß und per Anhalter reiste ich weiter durch Süd- und Ostdeutschland; in Leipzig bewunderte ich die Betondenkmäler, die sicher schon bald spannende Arbeit für die Denkmalsanierung böten, und lernte eine Betonmöbelmanufaktur kennen.

Im nächsten Jahr meiner Wanderschaft bereiste ich vor allem Deutschland und die angrenzenden Länder, arbeitete für Maurer und Zimmerermeister und versuchte das „große Ganze“ kennenzulernen.
In Hamburg arbeitete ich direkt am Hafen an der Hafencity mit und konnte beim Schalen und Betonieren von der Großbaustelle aus die Schiffe, die in den Hafen einfuhren, beobachten. Die Kolonne war auf Zack und es gab gutes Geld, mit dem ich mich dann auf den Weg in die USA machte, wo ich den ganzen Kontinent durchreiste: einmal von Osten nach Westen und von San Diego bis hoch nach Kanada.

BFT International: Klingt wirklich spannend, aber wie muss man sich das im Detail vorstellen und was hat Dir dabei besonders gut gefallen?

Ralf Keßler: Arbeit fand ich dort bei einem Schreiner in Texas, wo es mir so gut gefiel, dass ich fast geblieben wäre. Die amerikanische Mentalität, das Anpacken und immer wieder Neues zu versuchen, imponierte mir. Kaum ein erfolgreicher Geschäftsmann, der nicht auch mal was in den Sand gesetzt hätte und es dann nochmal versucht hätte, lebenslanges Lernen und den Mut, auch mal etwas Anderes zu probieren. Das war eine Einstellung, die meiner eigenen Mentalität sehr entsprach.

Auch die geschliffenen Betonböden gefielen mir gut und ich dachte mir, das müsste es doch auch in Deutschland geben.

BFT International: Vermutlich bist Du deshalb zwischenzeitlich wieder in die Heimat zurückgekehrt?

Ralf Keßler: Genau genommen machte ich nur kurz in Deutschland Zwischenstation, um mir in der Schweiz neue Arbeit zu suchen. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass sich eine gewaltige Baustelle vor mir auftat: ein Turm, der da gerade aus dem Boden schaute, sollte fast 250 m hoch werden – wenn das mal kein spannender Job ist. Ich sprach beim Polier um Arbeit vor und hatte Glück. Der ThyssenKrupp-Testturm war mit Abstand meine interessanteste Baustelle, ein Bauwerk der Rekorde und zudem ein fremder Freiheitsbruder ganz oben mit dabei.

Zu meinen Aufgaben gehörte auch die Überwachung des angelieferten Betons, Herstellen von Probewürfeln, Dokumentation der wesentlichen Eigenschaften und verschiedene Testreihen, was mir großen Spaß machte.

BFT International: Dennoch zog es Dich ein weiteres Mail in die Fremde?

Ralf Keßler: Nun ja, meine Wanderzeit neigte sich schließlich langsam dem Ende zu und ich wollte noch eine große Reise machen.

Über Südostasien (Thailand, Laos, Vietnam) ging der Weg nach Australien, wo ich und auch meine Reisekameraden Arbeit fanden. Ein paar Wochen im Outback, kein Mensch weit und breit, die nächste Stadt 300 km entfernt. Im Regenwald in Nordaustralien und an der Küste zwischen Aussteigern, Hippies und Surfern.

Meine Heimat hatte ich nun schon über vier Jahre nicht gesehen und die Weinlese stand vor der Tür, ich träumte von Federweißem und Zwiebelkuchen, von den heimatlichen Hügeln und meine Familie endlich wiederzusehen. Zur schönsten Zeit verabschiedete ich mich von meinen Wanderbrüdern, die mich noch bis zum heimatlichen Ortsschild begleiteten.

Ende 2017 endlich wieder zu Hause, sollte die Reise aber nicht vorbei sein, schließlich stehen noch Dinge auf meiner Liste, die ich auch in diesen vier Jahren nicht geschafft hatte. Die Wanderschaft ist nur ein Teil des Weges, der Rest steht noch bevor ...

BFT International: Diese abschließende Frage sei uns noch gestattet: Womit beschäftigst Du Dich, seit Du wieder zurück in der Heimat bist?

Ralf Keßler: In der zweiten Jahreshälfte 2018 arbeitete ich bei Villa Rocca in Viernheim als Mischmeister und Betonfertigteilbauer, davor war ich bei Element Fertigteile Speeter in Landau für Schal- und Betonarbeiten zuständig.

Anfang 2019 habe ich mich tatsächlich dazu entschlossen, noch einmal die Schulbank zu drücken. Daher absolviere ich zurzeit an der Ferdinand-von-Steinbeis-Schule in Ulm den Lehrgang zum Meister der Betonsteinindustrie IHK mit der Spezialisierung Beton- und Terrazzoherstellermeister HWK.

BFT International: Lieber Ralf, wir wünschen Dir noch viele weitere positive Erfahrungen in Deiner Betonbauer-Laufbahn und danken für die interessanten Einblicke!

Interview: Dipl.-Ing. (FH) Silvio Schade, Chefredakteur BFT International

Ralf Keßler – Kurzvita:

– Geb. am 16.10.1985 in Landau/Pfalz

– Mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium
(Otto-Hahn-Gymnasium Landau)

– Rechtswissenschaftliches Studium an Rheinischer Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Moskauer Juristischer Staats-akademie (Russland)

– Ausbildung zum Beton- und Stahlbetonbauer bei Wolff & Müller GmbH & Co. KG, Berlin (Gesellenbrief mit Abschlussnote 1,9)

– Von 2012 bis 2017 auf der Walz (u. a. in D, CH, USA und AUS)

– Seit 01/2019 Meisterschule (Ferdinand-von-Steinbeis-Schule, Ulm)

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