Niemeyer Sphere: Visionäre Baukunst aus Beton

Kurz vor seinem Tod hat Oscar Niemeyer in Leipzig mit der „Niemeyer Sphere“ ein architektonisches Vermächtnis hinterlassen. Gebaut wurde die futuristisch anmutende Betonkugel von der oberfränkischen Dechant Hoch- und Ingenieurbau GmbH. Der vollständige Beitrag ist im BetonBauteile Jahrbuch 2021 zu lesen, erhältlich in der Profil-Buchhandlung des Bauverlages.

Begonnen hatte alles mit einem Brief, den Ludwig Koehne, Gründer und Inhaber der Techne Sphere Leipzig, im Jahr 2011 dem brasilianischen Stararchitekten Oscar Niemeyer schrieb. Der Kunstliebhaber Koehne beschrieb darin nicht nur die Bauaufgabe – einen „Speise- und Tanzsaal auf dem Dach des Kantinengebäudes zu errichten“ –, sondern outete sich zugleich auch als Bewunderer der Arbeit von Niemeyer und wünschte sich „eine kurvige Gebäudeform“.

Sein Wunsch fand beim Meister in Brasilien Gehör und so folgte schon bald ein Besuch in Rio de Janeiro und letztendlich ein, wenn auch zunächst nur mit dem Filzstift skizzierter Entwurf aus der Hand des weltberühmten Architekten mit dem Namen „Niemeyer Sphere“. Vor Ort umgesetzt wird dieser zurzeit von dem ausführenden Leipziger Architekten Harald Kern in enger Abstimmung mit Jair Valera, der als Freund und rechte Hand Niemeyers bestens mit den Ideen und Entwürfen des Jahrhundertarchitekten vertraut ist. „Ohne ihn wäre eine Niemeyer-gerechte Umsetzung nicht möglich gewesen“, so Harald Kern in der Leipziger Volkszeitung.

 

Eine Skulptur aus weißem Beton

Kernstück von Niemeyers visionärem Entwurf ist eine riesige Skulptur in Form einer perfekten Kugel aus weißem Beton und Glas. Sie sitzt ganz oben auf dem Dach einer alten Halle des Techne Sphere Leipzig-Werksgeländes. Hier sind der Hersteller für Straßenbahnen, die HeiterBlick GmbH, und der Weltmarktführer für Eisenbahnkrane und Schlackentransporter, die Kirow Ardelt GmbH, ansässig – genauer gesagt am Eck eines ehemaligen, mittlerweile denkmalgeschützten Backsteinensembles. Die Betonkugel selbst ruht nicht auf dem Kesselhaus, sondern auf einem nach dem Entwurf von Niemeyer passend zur Ziegelfassade rot eingefärbten Erschließungsschaft aus Stahlbeton und ragt in ca. 8 m Höhe in den Straßenraum. Sie misst im Durchmesser 12 m und besitzt zwei große Öffnungen, die nach der Idee des Architekten mit geodätisch angelegten Glasdreiecken geschlossen werden. Für die Statik zeichnet das Ingenieurbüro Förster und Sennewald aus München verantwortlich.

Insgesamt verfügt die Niemeyer Sphere über drei Ebenen: ein unteres „Facility-Geschoss“, das in dem oben bereits erwähnten Erschließungsschaft untergebracht ist und im Wesentlichen der Unterbringung von Haustechnik dient, eine mittlere Café/Bar-Ebene sowie eine obere „Lounge Area“, deren Fußboden sich auf der Höhe der Äquatorebene der Kugel befindet. Für Gäste wird die Sphere über die Café/Bar-Ebene erschlossen. Von hier aus gelangt man über eine geschwungene Freitreppe entlang des unteren Fensterausschnitts in die Lounge und weiter zur Dachterrasse auf dem Bestandsgebäude.

 

Ganz neue Herausforderungen für Mensch und Material

Bei der Umsetzung des futuristischen Entwurfs „warteten große Herausforderungen auf alle Beteiligten“, erklärt Peter Dechant, der Geschäftsführer der Dechant Hoch- und Ingenieurbau GmbH. Nach der Herstellung eines Erprobungsbauteils machte sich das Dechant-Team zunächst an die akribische Planung und Umsetzung der überaus aufwendigen und schwierigen Schalung. Schwierig vor allem deshalb, da wegen der gläsernen Segmente von der Schalentragwirkung einer idealen Kugel nicht mehr viel übriggeblieben war. Nur im Bereich ihres Äquators besteht ein durchgehendes, relativ schmales Band, in das die Armierung konzentriert werden musste. Als Schalungshaut kamen 6 mm dünne, PPL-beschichtete Mehrschichtplatten zum Einsatz.

Um eine sichere und zuverlässige Ausführung der Schalarbeiten zu gewährleisten, wurde eine provisorische Stahlbetondecke eingezogen. Diese temporäre Zwischendecke sollte die auftretenden Horizontallasten aufnehmen. Zur Sicherung der Qualität diente ebenfalls die komplette Einhausung der Baustelle mit einem Zelt, auf dem wiederum ein Dach mit Schiebeantrieb angebracht wurde. Nur so konnte man den Einsatz eines Hochbaukrans ermöglichen.

 

Betontechnologie vom Feinsten

Herausfordernd war auch die Herstellung des Betons; denn ausgeschrieben war die Ausführung in Sichtbeton der Klasse SB 4 sowie Weißbeton, d.h. die Kugel sollte so glatt und so weiß wie möglich werden. Nach zahlreichen im Vorfeld durchgeführten Versuchen und der Produktion von diversen Farbmustern wurde die Kugelhülle mit einem reinen, eigens für das Projekt eingefärbten Weißbeton der Festigkeitsklasse C 30/37 in Konsistenzklasse F5 hergestellt – mit einem Größtkorn von 8 mm.

Zum Einsatz kam dabei der weiße Portlandzement Dyckerhoff Weiss Face. Er wird mit einem speziellen Herstellverfahren produziert und entspricht der DIN EN 197-1 (eigen- u. fremdüberwacht) unter der Normbezeichnung CEM I 42,5 R (dw). Durch den hohen Weißgrad von Dyckerhoff Weiss Face lassen sich bei der Herstellung von exklusiven Produkten alle Wünsche realisieren – von weißen bis hin zu brillant eingefärbten Betonen. Da sich der Architekt Oscar Niemeyer – ganz von der Sonne Brasiliens inspiriert – auch in Leipzig einen „blendend“ tiefenweißen Baukörper wünschte, achtete das für die Betonherstellung und Lieferung verantwortliche Unternehmen, die Firma Berger Beton aus Passau, besonders auf die zielgenaue Verwendung entsprechender Komponenten. So wurde neben einem weißen Füller ein extrem heller und hochwertiger Sand eingesetzt. Er stammt aus der zur Sparte Berger Rohstoffe gehörenden Kiesgrube im sächsischen Paschwitz bei Eilenburg. Um den Weißgrad zusätzlich zu erhöhen, wurde „on top“ das Weißpigment Titandioxid verwendet.

Hergestellt und geliefert wurde der Weißbeton komplett von dem Sonderbaustoffwerk Großlehna der Firma Berger Beton in Markranstädt, ganz in der Nähe der Baustelle im Leipziger Stadtteil Plagwitz gelegen. Hier produziert Berger insbesondere solche Produkte, die auf „normalen“ Betonanlagen nur schwer zu handhaben sind. Dazu zählen Fließestriche, Porenleichtbeton, Mörtel und vor allem Betone mit höheren Anforderungen – wie der bei dem Leipziger Projekt eingesetzte Weiß- bzw. Rotbeton. Die Lieferung des Frischbetons in der vorgegebenen Konsistenzklasse F5 mit einem Ausbreitmaß von 57 cm erforderte dabei eine besonders intensive betontechnologische Begleitung der Arbeiten. Stets überwachten zwei Betonlaboranten im Werk sowie zwei auf der Baustelle vor Ort sowohl die Herstellung als auch die gelieferten Betonmischungen hinsichtlich der geforderten Eigenschaften. Denn, so Hans-Ulf Tietz, Werkleiter von Berger Beton, „die Konstanz der Betonqualität hatte in Leipzig oberste Priorität.“

Der Beton musste zudem fachmännisch so in die 20 cm dünne Kugelschale eingebaut werden, dass dabei keine Fehlstellen entstanden. Dies erforderte insbesondere eine fachgerechte Verdichtung. Dabei kam, erklärt Peter Dechant, eine bis dato nie erprobte Rütteltechnik in Form eines durchdachten Systems von Innenrüttlern zum Einsatz. Neuland stellte auch das Verlegen der gebogenen Bewehrung aus blankem Armierungsstahl dar. Insgesamt kam dem Unternehmen bei diesem so herausfordernden Vorhaben seine große Erfahrung mit zahlreichen spektakulären Sichtbetonprojekten zugute. Zu erwähnen ist noch, dass nicht nur die Kugel selbst, sondern auch der bereits erwähnte rote Beton für den Erschließungsschaft aus Stahlbeton (ebenfalls Sichtbetonklasse SB 4) von Berger Beton geliefert und von der Fa. Dechant unter identischen Bedingungen verbaut wurde.

 

Innovative Flüssigkristallfenster regulieren Licht und Temperatur

Herausfordernd und anspruchsvoll gestalteten sich auch die Fertigung und der Einbau der die Kugel prägenden kurvenförmigen „Glasaugen“. Das Glas für die obere Kugelhälfte lieferte das Darmstädter Chemie- und Pharmaunternehmen Merck, bekannt für intensive Forschungsarbeit und innovative Entwicklungen. Die in Leipzig eingesetzten Flüssigkristallfenster stellen, so Merck, eine Weltneuheit dar. Denn die Gläser, die auch in dem neuen, erst vor kurzem am Standort Darmstadt eröffneten Innovation Center von Merck verwendet wurden, können viel besser mit Sonneneinstrahlung umgehen als herkömmliche Fenster. Der Grund sind die hier eingesetzten Flüssigkristalle, die auch bei der Herstellung von Smartphone-Bildschirmen verwendet werden. Dank ihnen lässt sich solch ein Fenster von „hell” bis „dunkel” einstellen. Mit zusätzlich eingebauten Farbstoffmolekülen kann man zudem verschiedene Farbtönungen darstellen. Die von Merck „Liquid Crystal Windows“ genannte Technologie hält auch die Hitze draußen. In dem Leipziger Bau würde es ohne sie im Sommer unerträglich heiß werden und die Niemeyer Sphere wäre ohne solche Fenster nur mit großem Aufwand zu nutzen.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass in Leipzig ein Stück Architekturgeschichte geschaffen wurde. Dazu beigetragen hat neben dem genialen Entwurf eines Jahrhundertarchitekten auch die perfekte Zusammenarbeit zwischen Bauherrn, Planern und Bauausführenden, also die von allen Beteiligten immer wieder gegenseitig bescheinigte „gute Teamarbeit“. Darüber hinaus waren es kreative und innovative Materialien beispielsweise im Bereich Beton und Glas, die ganz entscheidend mithalfen, den wohl letzten kühnen architektonischen Traum Niemeyers optimal umzusetzen.

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