Frauen am Bau: Von wegen zu schwach
Viele Berufe am Bau werden von Männern ausgeübt, ob Stahlbetonbauer, Zimmerer oder Fliesenleger. Aber es gibt Ausnahmen: Die 20-jährige Kimberley Sander hat helle Augen, rot gefärbte Haare, einen festen Händedruck und absolviert ihr erstes Ausbildungsjahr zur Stahlbetonbauerin. Vor einem Jahr hat sie Abitur gemacht und wollte dann Wirtschaftspsychologie studieren. Den gewünschten Studienplatz bekam sie aber nicht, eine Alternative musste her. Sie erinnerte sich an ein Schulpraktikum am Handwerksbildungszentrum (HBZ) Brackwede. Im Praktikum hatte sie in den Werkstätten der Fliesenleger und Stahlbetonbauer mitgearbeitet. „Außerdem war ich schon für zwei Wochen auf Baufreizeit in Rumänien“, sagt sie. Die handwerkliche Arbeit hatte ihr gefallen. Also suchte sie einen Ausbildungsplatz als Stahlbetonbauerin, auch wenn sie nicht ewig auf dem Bau arbeiten möchte. Markus Ortmann, Maurer- und Betonbauermeister am HBZ Brackwede, hilft ihr, einen Ausbildungsplatz zu finden. Er empfiehlt ihr den Betrieb Massivbau Schröder GmbH & Co. KG in Gütersloh. Dort stellt sich Kimberley vor und macht eine Woche Praktikum. Aus ihrem Jahrgang sei sie nicht die einzige, die eine handwerkliche Ausbildung mache. „Ganz viele von meinen ehemaligen Mitschülern arbeiten trotz Abitur im Handwerk. Manche studieren auch, viele haben aber ihr Studium abgebrochen“, sagt Kimberley. Sie hat eine eigene Wohnung, dabei verdient sie im ersten Lehrjahr gerade mal 700 Euro im Monat. Wie sie die Wohnung finanziert? „Kindergeld und Halbwaisenrente. Außerdem kenne ich den Vermieter gut“, sagt sie selbstbewusst.
Kimberley ist eine von wenigen Frauen in Deutschland, die den Beruf Stahlbetonbauerin erlernt. Der Anteil an Frauen, die in diesem Gewerk eine Lehre machen, lag 2015 bei nur 2,9 %. Das geht aus einem Hintergrundpapier des Bundesinstituts für Berufsbildung von 2016 hervor. In der Betonbauer-Werkstatt des HBZ Brackwede wird deutlich, dass Stahlbetonbauer ein männlich besetzter Ausbildungsberuf ist: Bei unserem Besuch ist Kimberley die einzige Frau unter etwa 15 jungen Männern in der Werkstatt.
Die Chefin ist überzeugt, aber der Chef hat Zweifel
Beim Vorstellungsgespräch bei der Massivbau Schröder GmbH & Co. KG muss Kimberley den Chef zunächst von sich überzeugen. „Die Chefin war sofort von mir begeistert, eine Frau als Auszubildende, das hat ihr gefallen“, sagt Kimberly. Als ihre zukünftige Chefin fragt, ob sie sich auf der Baustelle denn auch durchsetzen könne, verweist Kimberley auf ihr Hobby: Karate. Sie ist sogar Trainerin und bringt anderen jungen Leuten den Kampfsport bei. „Das hat gereicht, um meine Chefin zu überzeugen. Meinen Chef aber noch nicht“, sagt die Auszubildende.
In einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung von 2014 heißt es, dass es von betrieblicher Seite aus immer noch Vorbehalte gegenüber Frauen in „Männerberufen“ gebe.
Markus Ortmann hilft dabei, diese Vorbehalte abzubauen. Er spricht mit dem Betriebsinhaber Oliver Schröder, um ihn von Kimberley als Auszubildende zu überzeugen. „Inhaber von Handwerksbetrieben möchten etwa wissen, ob sie eine Damentoilette brauchen, wenn sie einen weiblichen Azubi einstellen“, sagt Markus Ortmann. In der Arbeitsstättenverordnung ist das klar geregelt. Arbeiten mehr als sechs Mitarbeiter im Betrieb und darunter eine Frau, muss es eine eigene Damentoilette geben.
Liegt die Toilette aber separat von den Umkleiden, also man muss nicht durch die Umkleide gehen, um zur Toilette zu kommen, ist die Lage anders. Dann ist erst ab zehn Beschäftigten eine eigene Toilette für Damen nötig.
Bei der Massivbau Schröder GmbH & Co. KG hat man die Situation so gelöst: Es gibt eine abschließbare Toilette für beide Geschlechter. An der Tür sind zwei Symbole, ein Mann und eine Frau, aufgeklebt. Eine so genannte „Unisex“-Toilette.
Männer vernünftiger, wenn eine Frau dabei ist
Das Vorurteil, Frauen wären zu schwach für die Arbeit auf der Baustelle, kann Kimberley Sander nicht bestätigen: „Es gibt heutzutage auf der Baustelle viele Maschinen, die die Arbeit erleichtern. Und ganz schwere Dinge trägt man zu zweit.“
Generell seien Männer aber vernünftiger, wenn eine Frau mit auf der Baustelle sei, meint Kimberley. „Als ich in meinem Betrieb angefangen habe, haben sich die Männer mit dem Fluchen zurückgehalten. Bis sie gemerkt haben, dass ich genauso fluche“, sagt sie.
Früher durften Frauen noch nicht in allen Berufen arbeiten. Heute sind Frauen in „Männerberufen“ normal, aber die Ausnahme. Eine Betreuerin des Handwerksbildungszentrums sagt uns zum Abschluss unseres Besuchs: „Es wäre schön, wenn wir hier mehr weibliche Azubis hätten.“
Text: Stephan Thomas