Betonfertigteile für die FIFA WM
Die bald beginnende FIFA Fußball-WM in Brasilien findet in insgesamt zwölf Stadien statt. An sechs davon waren deutsche Planer maßgeblich beteiligt, die in diesem Artikel in einer Übersicht vorgestellt werden.
Über Jahrzehnte wurde die Architektur in Brasilien von den Betonbauten des 2012 im Alter von 104 Jahren verstorbenen Oscar Niemeyer geprägt. Der einstige Büroleiter der Architekturikone Le Corbusier hat unzählige Gebäude in dem Staat realisiert. Insbesondere die Schlüsselbauten der heutigen Hauptstadt Brasilia stammen von ihm. Das regierungspolitische Zentrum Brasiliens ist eine weitgehend in den 1960er Jahren errichtete Planstadt nach den Entwürfen von Lcio Costa, deren Grundriss an ein Flugzeug erinnert.
Auch wenn sich die heutigen brasilianischen Architekten zunehmend von dem planerischen Übervater Niemeyer zu emanzipieren suchen, sind dennoch für die kommende Weltmeisterschaft einige Stadien entstanden, die sich bewusst auf seine Bautradition beziehen. Ein Grund dafür ist, dass natürlich einige bestehende und durchaus sehr bedeutende Stadien für den Großevent ertüchtigt, sprich kernsaniert werden mussten. Dazu zählt das weltberühmte Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro wie auch das Stadion von Belo Horizonte, ein Frühwerk Niemeyers. Beide Arenen stehen unter Denkmalschutz.
Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro
Bei dem großen Stadion in Rio de Janeiro waren die Eingriffe massiv. Der Spielort hält seit dem Jahr 1950 den Zuschauerweltrekord mit 199.854 Besuchern eines Fußballspiels. Jetzt mussten die bestehenden Betonfertigteilränge durch neue ersetzt werden. Denn das Stadion war einst als reines Stehplatzstadion gebaut und nachträglich bestuhlt worden. Zudem entsprach der alte Tribünenabstand nicht mehr den heutigen FIFA-Richtlinien. So wurden die alten Ränge wie auch das bestehende Kragdach abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Die neue, innere Stadionschüssel wurde von dem brasilianischen Architekten Daniel Fernandes und das neue zeltartige Ringseildach vom Stuttgarter Büro Schlaich Bergermann und Partner (sbp) jeweils entworfen und realisiert.
Estádio Governador Magalhães Pinto in Belo Horizonte
Wie beim Maracanã-Stadion galt es, das Estádio Governador Magalhães Pinto in Belo Horizonte an die aktuellen FIFA-Richtlinien anzupassen. Die brasilianische Denkmalbehörde schrieb vor, die historische, von der Sichtbetonkonstruktion des Oberranges geprägte Fassade in ihrer Erscheinung zu erhalten. Durch eine Neuanlage des Unterranges wurden FIFA-konforme Funktionsbereiche sowie ein Logenring geschaffen. Konstruktiv wurden das Spielfeld und der Unterrang „tiefer gelegt“. Spannend daran ist, dass Betonfertigteilelemente dieser Tribünenbereiche – also etwa die Zahnbalken und auch die jeweils obersten, neuen Tribünenränge – unter den Altbestand geschoben und nicht in Ortbeton erstellt wurden. Die Architekten der Sanierung, das Hamburger Architekturbüro gmp, begründen die Ausführungsart mit der dadurch erreichten höheren Bauteilpräzision und der so erreichten besseren Passgenauigkeit.
Nationalstadion in Brasilia
Beim Nationalstadion von Brasilia handelt es sich um einen reinen Neubau, der in dieser Vollständigkeit zunächst jedoch nicht geplant war. An der Stelle gab es bereits eine Spielstätte aus dem Jahr 1973, die mit nur einer Westtribüne ausgestattet war. Auf Basis eines vorangegangenen Gutachtens wurden erneut die Hamburger Architekten gmp damit beauftragt, das hierzu erforderliche neue Stadiondach zu realisieren. Für die Erweiterung des Bestands zeichnete jedoch der brasilianische Architekt Castro Mello verantwortlich. gmp legte um die Spielstätte einen 309 m messenden Stützenring, der in drei Reihen aus insgesamt 288 UHPC-Pfeilern tempelartig das über 40 m hohe Dach trägt. Damit wollten die Architekten sowohl der in Brasilia vorherrschenden Bautradition eine gewisse Reverenz erweisen als auch den umbauten Bestand gekonnt in Szene setzen. Allerdings staunte man nicht schlecht, als zu einem fortgeschrittenen Baustadium des Säulenringes der Altbau kurzerhand gesprengt wurde.
Arena da Amazônia in Manaus
Die Fassade der Arena da Amazônia in Manaus ist zwar eine mit einer Folienmembran aus Polytetrafluorethylen (PTFE) bespannte Fassade. Die innere Tribünenschüssel, die sogenannte „bowl“, ist jedoch eine Betonfertigteilkonstruktion mit vorgespannten Zahnbalken. Die Vorspannung wurde wegen einer großen Oberrangauskragung über der Rahmenstandfläche erforderlich. Entworfen wurde auch dieses Stadion von den Hamburger Architekten gmp und gerechnet von den Stuttgarter Statikern sbp. Die benötigten Betonfertigteile wurden in dem unmittelbar an das Stadiongrundstück angrenzenden Betonwerk aus herkömmlichem C40-Beton erstellt. Dazu wurden die notwendigen Spannseile in Hüllrohren zunächst schlaff in die Schalungen gelegt und erst nach dem vollständigen Aushärten des Betons gespannt. Die unmittelbare Nachbarschaft von Betonwerk – überhaupt dem einzigen im gesamten Amazonasgebiet – und Baustelle hatte zusätzlich einen großen logistischen Vorteil: So war es möglich, für das Projekt generell nicht transportfähige Sondergrößen zu produzieren. Die Fertigteile mussten lediglich „herübergehoben“ werden.
Itaípava Arena Fonte Nova in Salvador da Bahia
Unter den WM-Stadien ist die Itaípava Arena Fonte Nova in Salvador da Bahia ein Stadion, das sehr früh fertiggestellt wurde.Urspünglich wurde es von den Braunschweiger Architekten Schulitz und Partner als reines Vereinsstadion angelegt und erhielt erst nachträglich den FIFA-Zuschlag. Das Stadion besticht durch seine Hufeisenform und besitzt keine Südtribüne. Stattdessen öffnet es sich hin zum benachbarten Tororo-See. Mit der hufeisenförmigen Öffnung sorgen die Architekten in diesen tropischen Breiten für eine effektive natürliche Belüftung der Arena. Auch dort sind die Tribünenränge wie die tragenden Rahmen und Zahnbalken Betonfertigteile, die ausgesprochen schlank angelegt sind, die Fassade auflösen und zusätzliche Konvektion möglich machen.
Corinthians-Stadion in São Paulo
So ungeahnt und atemberaubend der Formenreichtum von Stadionfassaden heutzutage ist, haben alle etwas gemeinsam: Ihre Tribünenschüsseln bestehen weitgehend aus Betonfertigteilen. Das gilt auch für das Stadion in der brasilianischen Wirtschaftsmetropole São Paulo. Zwar besticht es in erster Linie durch seine ambitionierte Stahldachkonstruktion, statisch konzipiert vom Stuttgarter Ingenieurbüro Werner Sobek. Die Tribünenbauten und auch das Hauptgebäude mit einem 25 m hohen Lobbybereich unter der Westtribüne bestehen aber aus Betonfertigteilen.