Fast ein Alleskönner unter den Betonen
Unter der Leitung von Prof. Dr. Mike Schlaich wird im Fachgebiet „Entwerfen und Konstruieren – Massivbau“ an der Technischen Hochschule Berlin Infraleichtbeton als monolithisches und wärmedämmendes Baumaterial erforscht. Aktuelle Ergebnisse der Forschungen werden u.a. auf den kommenden Ulmer Betontagen durch ihn und Dr. Alexander Hückler vorgestellt.
Mit Beton verbindet man in der Regel eine schwere, feste, belastbare und undurchdringliche Masse. Der Infraleichtbeton, dessen Etymologie sich aus dem lateinischen Adverb infra = unten ableitet, vereint eine Reihe von Eigenschaften und Anwendungsformen, die für das Baumaterial Beton ein Novum darstellen. Mit der Reduzierung seines spezifischen Gewichts auf unter 800 kg/m³ zählt der Infraleichtbeton zu den äußerst leichten und gefügedichten Betonen, die unter dem Oberbegriff Leichtbeton summiert werden. Dessen bekannte Eigenschaften und Werte unterläuft der Infraleichtbeton dank seiner sehr geringen Rohdichte. Er ist nicht nur leichter als Wasser – also schwimmfähig –, sondern weist neben seinen statischen Qualitäten auch die Befähigung zur Wärmedämmung auf. Er ist sozusagen ein Alleskönner, der als „tragende Wärmedämmung“ in Zeiten der fortwährenden Energieoptimierung eine herausragende Doppelfunktion in sich vereint.
Mit Infraleichtbeton wird das Bauen einfacher
Auf heutigen Baustellen findet sich eine zunehmend unübersichtlichere Zahl diverser Baumaterialien, die miteinander verbunden werden. Aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit besehen, ist dies eher unvorteilhaft, denn denn es entsteht – gemessen an der Lebensdauer von Bauwerken – spätestens beim Abriss tonnenweise Sondermüll. Aber schon bei der Herstellung, der Anlieferung und dem Normen gerechten Einbau der vielfältigen Materialien herrscht oftmals eine babylonische Verwirrung. Dementgegen zeigen die bisherigen Referenzbauten mit Infraleichtbeton eine frappierende Einfachheit in Bezug auf die Herstellungs-, Verarbeitungs-, Bau- und Lebenszyklusphasen von Materialien und Gebäuden im mitteleuropäischen Raum.
So entfällt mit dem Einsatz von Infraleichtbeton die Notwendigkeit komplexer und aufwendiger Fassadenaufbauten. Weder Dämmmaterial noch ein Wetterschutz müssen vor den tragenden Teilen aufgebracht werden. Ebenso einfach gestalten sich die Anschlüsse zu Balkonen, Fenstern und Türen. Wärme-/Kältebrücken werden von vornherein ausgeschlossen. Damit ist ein sehr nachhaltiges, energieeffizientes und ökologisches Bauen gemäß den aktuellen Vorschriften mit Infraleichtbeton möglich.
Die TU Berlin als Forschungsstandort
für Infraleichtbeton
Vor allem unter der Leitung von Prof. Dr. Mike Schlaich wird seit 2005 im Fachgebiet „Entwerfen und Konstruieren – Massivbau“ an der Technischen Hochschule Berlin Infra-leichtbeton als monolithisches und wärmedämmendes Baumaterial erforscht [1]: „Infraleichtbeton erreicht heute zielsicher mittlere Druckfestigkeiten von bis zu flcm = 13 MPa, was nach den Konformitätskriterien einem LC8/9 entspricht und mehrstöckige Gebäude ermöglicht. Im Rahmen eines aktuellen Projekts der TU Berlin wird derzeit mit Prüfwänden an einer verbesserten Rezeptur mit bis zu 18 MPa mittlerer Würfeldruckfestigkeit bei einer Trockenrohdichte von 800 kg/m³ geforscht. Gleichzeitig lassen sich je nach Festigkeit Werte der Wärmeleitfähigkeit zwischen λ10,tr = 0,14 und 0,19 W/(mK) erreichen, womit sich die Energieeinsparverordnung (EnEV) für ein Gebäude mit ca. 50 bis 60 cm Wandstärke über den ‚Gebäudenachweis’ einhalten lässt. Zukünftigen, noch strengeren Anforderungen kann mit Wandaktivierungen begegnet werden.“ [2]
Infraleichtbeton entsteht, wenn die übliche schwere Gesteinskörnung durch eine leichte aus Blähton, Blähglas, Schaumglasschotter, Bims oder Tuff ersetzt wird. Durch die Zugabe von Betonzusatzmitteln kann die Trocken-
rohdichte über einen zusätzlichen Lufteintrag in die
Zementsteinmatrix weiter reduziert werden. Trotz eines Luftporengehalts von > 20 % weist der Infraleichtbeton eine geschlossene Oberfläche auf.
In Zusammenarbeit u.a. mit HeidelbergCement, Sika Deutschland, Transsolar und Schlaich Bergermann Partner wurden multifunktionale Leichtbetonbauteile (MultiLC) aus geschichteten unterschiedlichen Infraleichtbetonen mit universellen Eigenschaften erforscht. Sie tragen, kühlen, wärmen, sind diffusionsoffen und zersetzen Schadstoffe:
„Teil des Vorhabens ist es, geschichtete Bauteile aus ILC800 (Schale) und ILC600 (Kern) zu untersuchen. Nach erfolgreichen Vorversuchen an klein- und mittelformatigen Balken und Wänden (1:2) zum Trag- und Verformungsverhalten wurden auch 1:1 Prototypen mit funktional geschichteten Querschnitten im Fertigteilwerk (Heidelberger Betonelemente Laußnitz) hergestellt und an der TU Berlin bauphysikalisch untersucht. Durch eine Produktion im Nass-in-Nass-Verfahren konnte ein ausreichender Verbund zwischen den Schichten erzielt werden, sodass weder durch Schwindeinflüsse noch durch äußere Belastungen, die bei den Vorversuchen aufgebracht wurden, Delaminationen auftraten. In Abhängigkeit von den einwirkenden Temperaturzyklen zwischen –20 °C und +50 °C wird anhand der Versuchswand neben der Dauerhaftigkeit auch ein „effektiver“ U-Wert experimentell bestimmt, der sich durch eine Wandaktivierung ergibt. Hierbei durchströmt Wasser mit Vorlauftemperaturen von 5 °C, 10 °C und 15 °C Kapillarrohrmatten, die unter der Bauteiloberfläche einbetoniert sind. Der zu erwartende ‚effektive’ U-Wert liegt dann zwischen Ueff, 15 °C = 0,12 W/(m²K) und Ueff,5°C = 0,24 W/(m²K) anstelle des statischen U-Werts von Ubem = 0,38 W/(m²K). Schon bei U = 0,24 W/(m²K) ist der Referenzwert der EnEV für Außenbauteile erreicht.“ [3]
Gestalten und Bauen mit Infraleicht-
beton
Die vielen Vorteile des Infraleichtbetons bewähren sich ebenso im planerischen und gestalterischen Umgang. Generell erlaubt die „tragende Wärmedämmung“ einen freieren Umgang z.B. mit bauphysikalischen Themen. Aber auch bei der Herstellung bzw. der Anlieferung auf die Baustelle kann der Infraleichtbeton punkten. Außer als Ortbeton bietet die zeitsparende, ökonomische und emissionsarme Variante des Fertigteilbaus vielerlei Vorteile bei der Realisierung von z.B. Geschosswohnungsbauten. So wurden für die HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft in Berlin in Zusammenarbeit mit den Architekten Barkow Leibinger, den Ingenieurbüros Schlaich Bergermann Partner und Transsolar sowie einem Fertigteilhersteller markt-reife Fertigbetonteile entwickelt.
Die Kosten von Infraleichtbeton liegen, je nachdem welches Betonwerk die Mischung herstellt, beim Drei- bis Fünffachen im Vergleich zu herkömmlichem Transportbeton. Dabei sind jedoch Aufwand und Kosten, die bei einer konventionellen Fassade in Bezug auf die Wärmedämmung, den Wetterschutz und die finale Trennung und Entsorgung bei Abriss anfallen, nicht mit eingerechnet. Somit schneidet der Infraleichtbeton bei einer vergleichenden
Lebenszykluskostenrechnung besser ab.
Eines der ersten Bauwerke aus Infraleichtbeton ist ein Einfamilienhaus in Berlin-Pankow, welches 2007 errichtet
wurde. Schon damals zeigte sich, dass alle spezifisch entwickelten Details den statischen und bauphysikalischen
Anforderungen gerecht wurden und bis heute einwandfrei funktionieren. Die Außenwände des ca. 300 m² großen Hauses sind aus Infraleichtbeton, wogegen der Kern, die Decken und Innenwände aus normalem Beton bestehen: „Der verwendete Infraleichtbeton erreichte eine mittlere Druckfestigkeit von filcm = 7,8 MPa bei einer Trockenrohdichte
von ρtr = 760 kg/m³. Aus der gemessenen Wärmeleitfähigkeit λ10,tr = 0,181 W/(mK) wurde bei 50 cm Wandstärke ein U-Wert von 0,34 W/(m²K) ermittelt, mit dem die damalige EnEV 2006 erfüllt werden konnte.“ [4]
Fazit
Seit mehr als einem Jahrzehnt zeigt sich am Beispiel des Berliner Einfamilienhauses das enorme Potenzial von
Infraleichtbeton. In den seitdem vergangenen Jahren konnte an verschiedenen gebauten Projekten gezeigt werden, dass Infraleichtbeton als ein Alleskönner unter den Betonen unsere fest zementierten
Baupraktiken nachhaltig revolutionieren kann.
Es gilt daher das Bonmot von Mike Schlaich:
„Infraleichtbeton: Reif für die Praxis“.
[Artikelübernahme aus dem Jahrbuch BetonBauteile
Edition 2021]
Fußnoten
Kaiserslautern und der UniBw München
References / Literatur