Lebensdauerprognose Beton
Überblick
Betonbauwerke sind komplexen dauerhaftigkeitsrelevanten Einwirkungen ausgesetzt, die innerhalb ihrer Nutzung zu erheblichen Schäden führen können, wie in jüngster Zeit bei der Verkehrsinfrastruktur verstärkt zu beobachten ist. Im Rahmen einer Lebensdauerprognose ist die Möglichkeit gegeben, den zu erwartenden Schadensverlauf im Beton abzuschätzen, so dass rechtzeitig Erhaltungsmaßnahmen eingeleitet werden können. Die zentralen Bausteine einer Lebensdauerprognose bilden Schädigungsmodelle sowie probabilistische Methoden, die zum Beispiel im fib Model Code for Service Life Design [1] aufgeführt sind. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die derzeitige Praxis der Lebensdauerprognose und zeigt erweiterte Methoden zur wirklichkeitsnahen Abschätzung der Schädigungsentwicklung im Beton. Sie bilden auch die Chance für ein wirtschaftlicheres und nachhaltigeres Bauen mit Beton.
Lebensdauerprognose bei Betonbauwerken – Status quo
Die Anwendung einer Lebensdauerprognose erfordert im Wesentlichen mathematische Modelle (Stoffgesetze) mit quantifizierbaren Einwirkungs- und Widerstandsparametern sowie Festlegungen ungewollter Bauwerks- beziehungsweise Bauteilzustände (Grenzzustände). Hierdurch kann auf der Basis der Gegenüberstellung von Einwirkung und Widerstand die grenzzustandsbezogene Zuverlässigkeit für jeden beliebigen Zeitpunkt berechnet werden, die ihrerseits mit einer maximal zulässigen Zielzuverlässigkeit verglichen wird.
Eine solche Prognose führt im Ergebnis zum zeitlichen Verlauf des Zuverlässigkeitsindexes β(t) bis zum Erreichen der Zielzuverlässigkeit βziel und der damit verbundenen Bemessungslebensdauer tziel (Abb. 1). Bei Infrastrukturbauwerken beträgt der Bemessungszeitraum in der Regel 100 Jahre. Im Zuge der Bauwerksnutzung kann kontinuierlich der Sicherheitsabstand zwischen Einwirkung und Widerstand messtechnisch ermittelt und bei Anwendung der probabilistischen Lebensdauerprognose die sich verändernde Zuverlässigkeit zum Zeitpunkt tup über ein Bayessches Updating aktualisiert werden (Abb. 1). Entsprechende Regelwerke zur Umsetzung einer probabilistischen Lebensdauerprognose liegen bereits vor [1, 2, 3].
Derzeit erlaubt die Prognoseroutine lediglich die Bestimmung der karbonatisierungs- und chloridinduzierten Depassivierung der Bewehrung für ungerissenen Beton. Die Einflüsse zeitgleich wirkender mechanischer Beanspruchungen werden hierbei nicht berücksichtigt. Des Weiteren erfassen die in den aktuellen Regelwerken verfügbaren Modelle lediglich isoliert auftretende Einwirkungen beziehungsweise Schadensmechanismen, Wechselwirkungen werden also vernachlässigt. Ferner existieren zum Beispiel für den Frostangriff keine brauchbaren Stoffgesetze.
In der Realität korrelieren jedoch die umweltbedingten Einwirkungen mit den vorliegenden Lastbeanspruchungen, was mit einer Veränderung der jeweiligen Schädigungsmechanismen einhergeht. Ferner kann bei einem Bauwerk unter typischen Nutzungsbedingungen stets von gerissenen Betonstrukturen ausgegangen werden. Zudem treten dauerhaftigkeitsrelevante Einwirkungen auch nicht einzeln, sondern gleichzeitig auf, wie dies zum Beispiel bei der kombinierten Beanspruchung durch Karbonatisierung, Frost-Tauwechsel, Sonneneinstrahlung, Chloride (aus Taumittel) der Fall ist. Dadurch beeinflussen sich diese Einwirkungen in chemisch-physikalischer Hinsicht. Das kombinierte Auftreten von last- und umweltbedingten Einwirkungen bei einem Infrastrukturbauwerk wird schematisch in Abb. 2 gezeigt.
Üblicherweise führen kombinierte Einwirkungen zu einer Verstärkung der Betonschädigung und damit zur Abnahme der Zuverlässigkeit (Abb. 1).
Lebensdauerprognose bei Betonbauwerken – Ausblick
Wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, sind Ingenieurbauwerke aus Beton infolge der komplexen Umwelteinwirkungen in ihrer Nutzungsfähigkeit stark beeinträchtigt. Unstrittig ist, dass diese Bauwerke derzeit und auch in Zukunft hohe Instandhaltungskosten verursachen werden. Daher ist eine zielsichere Prognose der Lebensdauer von Betonbauwerken unter Anwendung einer wirklichkeitsnahen Schädigungsmodellierung in Verbindung mit probabilistischen Methoden in wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht eine große Herausforderung. Die Chancen liegen hierbei in der Erarbeitung von geeigneten „Werkzeugen“ zur optimierten Instandhaltungsplanung bedeutender Betonbauwerke. Dies wird zu einer wirtschaftlicheren und nachhaltigeren Betonbauweise führen.
Zukünftig sind die derzeit verfügbaren Schädigungsmodelle der karbonatisierungs- und chloridinduzierten Bewehrungskorrosion hinsichtlich ihrer Schadensbeschreibung weiterzuentwickeln. Insbesondere zur wirklichkeitsnahen Abbildung der Frostschädigung von Beton müssen brauchbare Stoffgesetze bereitgestellt werden. Darüber hinaus muss auch eine Anpassung verfügbarer Schädigungsmodelle im Hinblick auf gerissene Betonstrukturen erfolgen. Schließlich ist eine wirklichkeitsnahe Modellierung der an Infrastrukturbauwerken kombiniert auftretenden und interagierenden Einwirkungen unter Anwendung der Systemzuverlässigkeitstheorie unabdingbar. Es ist auch zu überdenken, ob weitere Analysemethoden, wie zum Beispiel die Markov-Ketten-Methode oder künstliche neuronale Netze, hierbei ihre Anwendung finden. Eine diesbezügliche Modifikation aktueller Regelwerke [1, 2] ist schließlich anzustreben.