Infrastrukturprojekt in den Niederlanden: Kelchförmige Betonfertigteile im Unterwasserparkhaus
Auf dem Grund einer neu angelegten Gracht, also unter Wasser, befindet sich das neue Fahrradparkhaus am Amsterdamer Hauptbahnhof. Bis vor wenigen Jahren gab es dort einen unseligen Bahnhofsvorplatz, der nunmehr unter dem Namen „De Entree“ komplett neu angelegt wurde. Max Bögl übernahm den architektonischen Entwurf und die Umsetzung des Fahrradparkhauses. Hier lesen Sie einen Ausschnitt des Projektberichtes, der in voller Länge in unserem Jahrbuch „Beton Bauteile 2024“ erschienen ist.
Die Stadtverwaltung von Amsterdam hat vor dem dortigen Hauptbahnhof ein Fahrradparkhaus für rd. 7.000 Räder geschaffen. Es bildet den Grund eines neu angelegten kleinen Hafenbeckens. Die 129 kelchförmigen Deckenstützen dieser submarinen Garage bestehen aus Betonfertigteilen.
Anders als in anderen Städten sind der Verwaltung von Amsterdam nicht nur die Autos ein Dorn im Auge, sondern auch die zahllosen „wild“ in der Gegend abgestellten Fahrräder. Pro Tag sammelt die Stadt in der ganzen City rd. 200 unrechtmäßig abgestellte Räder ein und bringt diese ins „Fietsdepot“ am Stadtrand. Gleichzeitig hat sie aber auch zahllose Verwahrorte für Fahrräder geschaffen. So gibt es den Beschluss, 14.000 Stellplätze für die Räder „unter Wasser“ zu schaffen. Dieser offizielle Terminus ist insofern irreführend, da dies in Amsterdam lediglich bedeutet, dass die Fahrradgaragen unterirdisch sein sollen. In der Hauptstadt der Tulpen liegt der Grundwasserspiegel nämlich bei 0,5 m unter der Oberfläche, weshalb dort faktisch jeder Keller ein Unterwasserbauwerk ist.
Entree zur Stadt
Das Fahrradparkhaus vor dem Amsterdamer Hauptbahnhof ist ein Teil des Großprojektes „De Entree“. Dies bedeutete nichts weniger als eine diametrale Neugestaltung des Vorplatzes: Wo sich heute ein nierenförmiges, vielleicht 80 x 30 m großes Hafenbecken befindet, an dem eine schmale Gracht vorbeifließt, befand sich bis zum Jahr 2019 der zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) von Amsterdam, eine große versiegelte Verkehrsfläche. Dann wurde der ZOB in eine halboffene Glashalle auf der anderen Längsseite des Hauptbahnhofs verlegt, die unmittelbar am Flussufer des Ij neu geschaffen wurde. Wie Züge fahren hier die Busse auf einem erhöhten Niveau an der südöstlichen Stirnseite des Bahnhofs in die Halle ein und an der nordwestlichen wieder heraus. Im EG darunter findet sich eine Shopping-Mall. So ergab sich vor dem Hauptbahnhof Platz für das nun realisierte pittoreske Hafenbecken.
Den entsprechenden städtebaulichen Masterplan hat der Hooftdontwerper; Dienst Ruimtelijke Ordening Gemeente Amsterdam“ (Chefdesigner der Amsterdamer Raumplanungsabteilung) Simon Sprietsma entwickelt. Mit der Erstellung des konkreten architektonischen Entwurfs und dessen baulicher Umsetzung wurde als Ergebnis einer Ausschreibung die niederländische Tochter der Firmengruppe Max Bögl aus dem deutschen Sengethal als Generalübernehmer beauftragt. Diese hatte als Designdienstleister das Rotterdamer Büro wUrck architectuur hinzugezogen.
Max Bögl war dabei nicht nur mit der Ausführung der Fahrradgarage beauftragt, sondern auch mit der Sanierung bzw. der Sanierung, Erweiterung und Ertüchtigung der bestehenden Brücken, der Versiegelung aller Bodenoberflächen, dem Bau eines Verbindungstunnels zur Verteilerhalle der benachbarten Metrostation sowie der Schaffung einer internen Verbindung von dieser in den eigentlichen Hauptbahnhof. Darüber hinaus war bei diesem Verbindungstunnel ein mobiles Notschott vorzusehen, um bei einem Überflutungsrisiko diesen Metrozugang zu sichern. Diese Absicherung hat einen absoluten Notfallcharakter, da vorher der große Hauptdeich an der Küste oder die großen Schutzwehre brechen müssten. Dann wäre noch genügend Zeit, die Metro abzuschotten, bis das Wasser hier ankäme. In diesem Moment, so räumt Frank Naumann, der verantwortliche Entwurfsleiter von Max Bögl, bei seiner Führung durch die Anlage ein, hätten aber die Niederlande und Amsterdam sicherlich ein ganz anderes Problem.
Die Muschel in der Gracht
Die formal-architektonische Grundidee für die Fahrradgarage, erläutert Frank Naumann, war die einer Muschel im Hafen. Tatsächlich geben sich das neu geschaffene Hafenbecken und die sichtbaren Außenflächen der Muschel sehr rau und elementar, während ihr Inneres in einem hellen, perlmuttartigen Weißton angelegt ist. Naumann ergänzt, dass jede gute Muschel natürlich auch eine Perle haben muss: Auch die findet sich in Form eines vollverglasten Servicebereichs mit abgerundeten Ecken im Übergang der nach oben offenen Rampenanlage und der daran anschließenden eigentlichen Fahrradabstellfläche. Diese Glasfront bildet auch die thermische Trennung zwischen Innen- und Außenraum. Entsprechend der Muschel-Vision wurden die steil geneigten Uferböschungen mit dunklen, robust wirkenden Basaltblöcken belegt. Darin eingefügte, sichtbare Kleinbauwerke, wie etwa die Brückenköpfe, die Außenwände der beiden Notausgänge oder die Außenwand der Rampenöffnung wurden in Sichtbeton ausgeführt. Vorab hatte die Stadt Amsterdam ein Pflichtenheft ausgegeben, dass neben dem Freihalten einer Fahrspur für die künftige U-Bahn-Trasse forderte, dass Radfahrer von der Ankunft im Parkhaus über das Abstellen und Abschließen des Rads bis zum Verlassen des Parkhauses maximal sechs Minuten brauchen dürfen.
Die Ingenieure von Max Bögl haben daraufhin umfassende Computersimulationen durchgeführt und festgestellt, dass dieses Zeitlimit nur mit drei parallelen Transportbändern zu erfüllen ist. Will man nun sein Rad in der Garage abstellen, erreicht man diese über den erwähnten Rampenzugang an der Prins Hendrikkade und fährt mit einem der drei Fahrbänder hinab in eine trapezartige Betonwanne. Nach etwa 20 m erreicht man ein Wendepodest, über das das Rad zu schieben ist, um an eine zweite Rollband-Dreiergruppe zu gelangen, die nach ca. 33 m vollends nach unten zur Haupt- und Eingangsebene führt. Die Bänder sind so geschaltet, dass zu morgendlichen Stoßzeiten je zwei Bänder hinabfahren und eines nach oben läuft. Abends ist dann die Schaltung invertiert. Sobald man auf der Garagensohle angekommen ist, steht man dann vor der erwähnten Perle aus Glas in Form eines kaufhausartigen Haupteingangs flankiert von dem Büro der Garagenaufsicht und einer sich daran anschließenden Fahrradreparaturwerkstatt. Geprägt ist die auf nur einer Ebene angelegte, insgesamt 7.800 m² große Parkhausfläche von 129 Kelchstützen. Grundsätzlich sind diese in einem rechtwinkligen Netz angeordnet, weichen jedoch nahe der geometrischen Mittelachse in einem eleganten Schwung auseinander, um so einen breiten Hauptgang zu bilden. Die diesen flankierenden Kelchstützen sind zusätzlich mit Bodenspots illuminiert, was die Orientierung innerhalb des riesigen Raumes signifikant erleichtert. Das gilt besonders, wenn man in einem tiefen Seitenarm gerade sein Fahrrad geparkt hat und nun zum Ausgang strebt.
Ein ausführlicher Objektbericht ist im aktuellen Betonbauteile Jahrbuch 2024 zu lesen, erschienen im Bauverlag Shop, erhältlich unter www.bauverlag-shop.de/beton-bauteile-2024.
CONTACT
Max Bögl GmbH & Co. KG
Max-Bögl-Str. 1
92369 Sengenthal/Germany
+49 9181 909-11724
Bautafel
Bauherr: Gemeente Amsterdam/NL
Architekten: wUrck architectuur, Rotterdam/NL
Generalübernehmer: Firmengruppe Max Bögl, Sengenthal/D
Betonfertigteile: Max Bögl Fertigteilwerke GmbH & Co. KG, Hamminkeln