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Meinungsbild: Havanna ist überall – auch in der Bauindustrie

Der Havanna- oder Kubaeffekt ist ein Marktphänomen, das man aus der Automobilbranche kennt. Darunter wird verstanden, dass der Absatz einbricht, weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie Inflation, Zinsen und hohe Preise o.a. die Konsumenten verunsichern und sie vom Neukauf eines Fahrzeuges absehen. Sie fahren dann ihr altes Auto weiter, solange es geht, was man eindrucksvoll auf den Straßen Havannas beobachten kann. Nicht betrachtet wird dabei die Umweltbelastung, der Kraftstoffverbrauch und vieles andere, was dem wichtigen Streben nach Nachhaltigkeit entgegenkommt.  Für meinen Geschmack sehen wir hier viele Parallelen zur derzeitigen Situation der Bauindustrie und ihren Zulieferfirmen. Dazu kommt noch, dass die Konsumentenverunsicherung durch fehlende Planungssicherheit in Ermangelung klarer und wirksamer politischer Rahmenbedingungen, überbordende Planungs- und Ausführungsbestimmungen und verfehlter Förderpolitik deutlich verstärkt wird.

Die Baugenehmigungen für neu zu errichtende Wohngebäude brechen massiv ein. Laut Statistischem Bundesamt wurden von Januar bis August 2023 insgesamt 143.900 Wohnungen genehmigt. Das waren 32,0 % weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser fiel um über ein Drittel (-37,8 % bzw. -20.900 Wohnungen) auf 34.400 zurück. Im Bereich der Zweifamilienhäuser hat sich die Zahl genehmigter Wohnungen mehr als halbiert (-52,5 % beziehungsweise -11.100) auf 10 100. Bei der Gebäudeart mit den meisten Wohnungen, den Mehrfamilienhäusern, reduzierte sich die Zahl der genehmigten Wohnungen deutlich, und zwar um mehr als ein Viertel (-28,0 %) auf 93.600. 

Drastischer Rückgang beim Wohnungsbau

Auch in den nächsten Jahren wird es wohl nicht besser; das Ifo-Institut erwartet einen drastischen Rückgang beim Wohnungsbau in Deutschland, allein für 2025 rechnen die Forscher mit der Fertigstellung (neue Wohngebäude und sonstige Fertigstellungen) von insgesamt nur rund 200.000 Wohnungen. Das sind halb so viele, wie von der Bundesregierung jährlich versprochen. Im Jahr 2022 sind den Angaben des Statistischen Bundesamts zufolge noch 295.300 Wohnungen fertiggestellt worden.

In den letzten Jahren erlebten wir einen beispiellosen Boom, der uns gepaart mit den Effekten der Corona-Pandemie wie u.a. Lieferkettenprobleme, hohe Krankenstände sowie Verzögerungen auf den Baustellen in den Jahren 2020 bis 2022 an Kapazitätsgrenzen gebracht hat. Nun erleben wir im Jahr 2023 ein Kontrastprogramm, das deutlicher kaum sein kann und uns sehr wahrscheinlich mindestens bis 2025 begleiten wird. Von Seiten der Politik sieht man trotz des wachsenden Drucks aller bauorientierten Branchenverbände und des inzwischen durchgeführten Baugipfels keinen großen „Wumms“, den es braucht, um die Wohnungsbaukrise zu bewältigen.

Unsere Branche hat inzwischen die Zeichen der Zeit richtig gedeutet und passt die Kapazitäten den Marktgegebenheiten an. Zusätzlich dazu gilt es aus meiner Sicht, folgende zwölf Punkte in der strategischen und praktischen Führungsarbeit zu beherzigen:

Eigenes Geschäftsmodell im Hinblick auf die vorgelagerten (Lieferanten und Dienstleister) und nachgelagerten Prozesse (Kunden) auf Veränderungsbedarf prüfen (Insourcing, Outsourcing, Allianzen) und anpassen, um zusätzliche Synergie- und Skaleneffekte zu heben;

Umschalten auf das aktive Verkaufen und Sicherstellung eines lückenlosen Nachtragsmanagements im Vertriebsinnen- sowie -außendienst und auch im technischen Büro mit klaren Zielsetzungen für den Vertrieb (Umsätze, Deckungsbeiträge, Kunden) und Herausstellen der Alleinstellungsmerkmale (USP) eines jeden Unternehmens verbunden mit einer signifikanten Steigerung der Kundenorientierung;

Sicherstellung der Preiswürdigkeit aller Produkte und Dienstleistungen, das Preis-Leistungs-Verhältnis muss stimmen;

Ständiges und intensives Verhandeln der Preis- und Zahlungskonditionengestaltung der Vorlieferanten und Dienstleister, in den meisten Bereichen sind die Erzeugerpreise in der letzten Zeit deutlich gesunken;

Flexibilisierung der Personalkosten durch intensive Nutzung von flexiblen Arbeitszeitmodellen, Werkvertrags- oder Leiharbeit, Kurzarbeit und Einführung von zielerreichungsbasierten Anreizsystemen für die Vergütung;

Hohe Transparenz bei allen Kosten, insbesondere bei den Sachkosten, sicherstellen und auf Basis klarer Zielstellungen konsequent Kostensenkungsprogramme durchsetzen;

Die Effizienz und Effektivität aller Geschäftsprozesse auf den Prüfstand stellen und bei Bedarf konsequent Prozess- und Strukturreorganisationen durchführen (Business Process Reengineering), dabei klare quantifizierte Ziele setzen;

Optimierung des Working Capitals durch Reduzierung der Bestände an Vorprodukten sowie Hilfs- und Betriebsstoffen ebenso Fertigerzeugnissen mit dem Ziel der Erhöhung der Umschlaggeschwindigkeit der Bestände;

Verbesserung des Debitorenmanagements durch kürzere Zahlungsziele, beschleunigtes Stellen von Abschlags- und Schlussrechnungen und konsequentes Nachverfolgen der Außenstände mit dem Ziel der Erhöhung des Kapitalumschlags;

Größtes Augenmerk auf das Kreditrisikomanagement, Eindecken von Warenkreditversicherungen und Arbeiten mit Zahlungsbürgschaften oder Vorkasseregelungen;

Rechtzeitige Ansprache der Finanzierer zur Sicherstellung ausreichender Spielräume für kurzfristigen Liquiditätsbedarf mit dem Ziel, sofort auf zusätzliche Liquidität zugreifen zu können und ggf. Umschichtung der Finanzierungen im Kurzfrist- und Langfristbereich;

Überprüfung aller Investitionen auf Wirtschaftlichkeit, Durchführungszeitraum und einen ausreichenden Return on Investment (ROI) mit dem Ziel, Investitionen nur dann durchzuführen, wenn sich diese innerhalb von 3 Jahren rentabilisieren.

Text: Matthias König

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