Elektronische Zunge zum „Schmecken“ von Beton
Ein Prinzip, das auf die Konstruktion einer Elektronischen Zunge angewendet werden kann, besteht in der Erzeugung elektrochemischer Spannungen wie bei einem galvanischen Element, aber auch wie bei der menschlichen oder ganz allgemein tierischen Zunge. Sowohl die biologische als auch die technische Zunge generieren eine elektrische Spannung aus der Anwesenheit von Ionen. Bereits geringste Feuchtigkeit sorgt dafür, dass Stoffe dissoziieren und somit ionisiert vorliegen. Seit etwa 100 Jahren ist dank Prof. Walther Nernst bekannt, dass unterschiedliche Elektroden aus elektrisch leitenden Materialien durch die im Stoff vorhandenen Ionen eine elektrische Spannung erzeugen. Diese elektrochemische Spannung kann ähnlich wie bei den verschiedenen Papillen der biologischen Zunge mit unterschiedlichen Elektroden vielfach erzeugt und als Muster organisiert werden. Dann wird ein solches Objekt mit der mathematischen Muster- beziehungsweise Objekterkennungstheorie behandelbar, sodass ein Muster anzulernen und dann über Klassifizierungsverfahren wiederzuerkennen ist. Dies kann in Bruchteilen von Sekunden geschehen, elektronisch problemlos weiterverarbeitet und angezeigt oder dank der heutigen technischen Möglichkeiten über das Internet verknüpft werden.
Die Elektroden können aus verschiedensten leitenden Materialien zusammengestellt werden, die im Allgemeinen schwachselektiv auf Ionen reagieren. Es kann also ein Gesamteindruck mithilfe eines Musters elektrochemischer Spannungen gewonnen werden, ähnlich wie beim physiologischen menschlichen Sinneseindruck. Dort handelt es sich jedoch um einen vom Gehirn eingeordneten subjektiven Geschmack, während die Nernst-Spannungen einen objektiven „Geschmack“ abliefern. Sie ergeben daher gewissermaßen eine übergeordnete Geschmacksinformation aller Ionen enthaltenden Stoffe und somit eine objektive Beschreibung und Qualitätsinformation auch im Bauwesen.
Konstruktion der
Elektronischen Zunge
Die Elektronische Zunge benötigt einen Messkopf zum Erzeugen der Nernst-Spannungen, wenn mit ihm das Messobjekt berührt wird, eine Elektronik, die diese elektrischen Spannungen aufnimmt und aufbereitet, und einen Rechner, der die Mathematik zum Feststellen und Wiedererkennen von Mustern oder Klassen einsetzt. Den Input dafür liefert die mathematische Objekt- beziehungsweise Mustererkennungstheorie.
Der Messkopf muss für acht Vektorkomponenten, die die Klassen ausmachen, acht Messkanäle vorsehen. Da die elektrischen Spannungen nur zwischen zwei Elektroden entstehen, werden somit acht leitende Elektroden sowie eine leitende Referenzelektrode benötigt, die alle in den Messkopf integriert werden. Das sich ergebende Spannungsmuster kann auch populärwissenschaftlich als Fingerprint des Messobjekts angesehen werden. Ein Prototyp einer solchen Elektronischen Zunge ist in Abbildung 1 zu sehen. Mit dieser kann der „Geschmack“ von Beton festgestellt werden. Es ist kein Geschmack, der vom menschlichen Gehirn zugeordnet wird, basiert aber auf der schwachselektiven Information aus der Gesamtheit der vorhandenen Ionen wie auch beim Menschen.
Kontrolle von
Betonmischungen
Zur schnellen Kontrolle von Betonmischungen wird eine Probe entnommen oder ein dafür geeigneter Messfühler in die Mischung gehalten. In Abbildung 2 sind die Ergebnisse von drei solcher Messungen aufgeführt, die für Standardmischungen nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 (2001) durchgeführt wurden. Sie zeigen, dass diese recht gut unterschieden werden können und dies bei weiterem Anlernen von Zustandsänderungen auch detektierbar ist, bis der Beton auf der Baustelle ankommt.
In dieser Art und Weise lässt sich auf einem elektronischen Speicher eine ganze Bibliothek von variierten Mischungen beziehungsweise Zuständen auflisten. Wird wieder eine Probe untersucht, so werden deren Spannungswerte mit den gespeicherten auf Ähnlichkeit geprüft und wiedererkannt. Lediglich diese Wiedererkennung ist für den Nutzer interessant, während die Nernst-Spannungen nur verfahrensintern relevant sind. Dies hat den Vorteil, dass die Informationen vor Ort in der Praxis sofort zur Verfügung stehen, sobald sie benötigt werden. Im Vorfeld muss der Anlern- und Analyseprozess vorgenommen und als App implementiert werden.
Frisch- und Festbetonüberwachung
Werden in den Beton Elektroden dauerhaft eingebracht, so können diese sowohl über das Abbindeverhalten Auskunft geben als auch in späteren Jahren über den Zustand des Betons befragt werden. Dies setzt allerdings zunächst eine Untersuchung in einem Forschungslabor voraus, das die Zuordnung chemischer und mechanischer Eigenschaften vornimmt. Danach kann ein Bauwerk jederzeit an geeigneten Messstellen und deren elektrischen Spannungen der Elektroden auf seinen Zustand hin getestet werden. Die Elektroden lassen sich dafür nicht nur in Beton, sondern auch in anderen ionisch reagierenden Baumaterialien unterbringen. In Abbildung 3 ist ein Betonklotz mit fünf eingebrachten Elektroden dargestellt, die einen Fingerprint mit Vektorenkomponenten, Messkanalspannungen und Spannungsmustern liefern.
Fazit: Die Elektronische Zunge muss auf das zu erkennende Objekt angelernt werden. Wenn dies jedoch vollzogen ist, passt sie in jede Jackentasche und führt eine Mustererkennung unkompliziert und in Sekundenschnelle durch. Dadurch ist sie als tägliches Qualitätsüberwachungs-Hilfsmittel für alles geeignet, was elektrolytisch wirkt und Ionen enthält.
Text: H. Ahlers, C. Keil, T. Keil
CONTACT
Multisensoric GmbH
Ottogerd-Mühlmann-Str. 31
07743 Jena/Germany
+49 7223 967-0