Interview: „Mit SUSTAINABLE PRECAST möchten wir die Transformation der Branche begleiten“

Die Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung sind hoch gesteckt. Die Betonindustrie steht dabei besonders im Fokus. Aber was genau ist nachhaltig? Gerade für Bauwerke ist diese Frage nicht nur von großer Bedeutung, sondern auch schwierig zu beantworten. Das neue Zertifizierungsprogramm SUSTAINABLE PRECAST möchte die Branche auf ihrem Weg in eine nachhaltige Zukunft begleiten. Im Interview mit der BFT International erklärt der Initiator, Dr.-Ing. Jens Uwe Pott, die Intention, die Kernthemen und den Ablauf einer SUSTAINABLE PRECAST-Zertifizierung.

BFT International: Guten Tag Herr Dr. Pott. Ich freue mich sehr, Ihnen einige Fragen zur neuen Nachhaltigkeitszertifizierung für die Betonbranche stellen zu dürfen. Warum haben Sie SUSTAINABLE PRECAST ins Leben gerufen? Was ist die Intention des Zertifizierungsprogramms?

Dr.-Ing. Jens Uwe Pott: Die nachhaltige Transformation der Gesellschaft ist eine zentrale Aufgabe für die nächsten 20 bis 30 Jahre. Das Bewusstsein dafür ist mittlerweile weit verbreitet, auch in den Unternehmen der Betonfertigteilindustrie. Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren bereits Anstrengungen für die Nachhaltigkeit unternommen. Trotzdem stehen wir noch am Anfang eines langen und herausfordernden Prozesses. Mit der SUSTAINABLE PRECAST-Zertifizierung verfolgen wir drei Ziele:

Firmen eine Standortbestimmung auf ihrem Weg zur Nachhaltigkeit ermöglichen;

Firmen Anregungen geben, welche nächsten Schritte sie auf diesem Weg gehen können;

Firmen, die bereits überdurchschnittliche Leistungen in Bezug auf die Nachhaltigkei erbringen, die Kommunikation dieser Leistungen durch eine unabhängige Bewertung und Zertifizierung zu erleichtern.

Wir möchten die Transformation der Firmen also begleiten, aber die Firmen auch immer wieder antreiben besser zu werden. Daher ist geplant, die Anforderungen für eine Zertifizierung sukzessive an die Fortschritte der Branche im Transformationsprozess anzupassen. Wer ein Zertifikat bekommen hat, kann sich also nicht für lange Zeit entspannt zurücklehnen, sondern sollte weiter überlegen, wo er für die Zukunft noch besser werden kann.

BFT International: Das Zertifikat hat sich als Nachweis für Nachhaltigkeit in drei für Fertigteilwerke relevanten Bereichen aufgestellt. Welche sind das?

Dr.-Ing. Jens Uwe Pott: Wir orientieren uns an dem Leistungsspektrum der Firmen der Betonfertigteilindustrie. Die allermeisten Hersteller von Betonbauteilen, gleich ob konstruktive Fertigteile oder Betonwaren, stellen ihren Beton und natürlich die Betonbauteile her. Hersteller von konstruktiven Fertigteilen bieten teilweise auch die Montage der Fertigteile an. Daher gibt es das Zertifikat in den Kategorien Beton, Betonbauteile und Fertigteilmontage. Es müssen nur die Kategorien beauftragt werden, die für den Hersteller relevant sind. Bezieht ein Hersteller seinen Beton z. B. aus einem zertifizierten Transportbetonwerk, muss er den Beton nicht nochmal zertifizieren lassen. Hier können auch vergleichbare Nachhaltigkeitszertifikate für den Beton, z. B. das CSC-Zertifikat anerkannt werden. Aber eins ist ganz klar: wenn der Beton nicht nachweislich nachhaltig ist, kann auch das Betonbauteil nicht nachhaltig sein.

 

BFT International: Stehen bei SUSTAINABLE PRECAST nur ökologische Aspekte auf dem Prüfstand?

Dr.-Ing. Jens Uwe Pott: Nein. Nachhaltigkeit bedeutet soziale, ökologische und ökonomische Anforderungen, auch gegenläufige, bestmöglich miteinander in Einklang zu bringen. Auf die ökonomischen Anforderungen achten die Unternehmen in der Regel selbst. Wir prüfen die Einhaltung sozialer und ökologischer Anforderungen.

 

BFT International: Auch wir in der BFT International haben kürzlich darüber berichtet: Die ersten Zertifizierungsstellen sind gestartet. Welche sind das? Und was ist ihre genaue Aufgabe?

Dr.-Ing. Jens Uwe Pott: Die beiden ersten Zertifizierungsstellen sind der BAU-ZERT e. V. (www.bauzert.de) und die argus CERT BAU GmbH (www.arguscertbau.de). Der Bund Güteschutz Beton- und Stahlbetonfertigteile e. V. hat das SUSTAINABLE PRECAST-System mit den Anforderungen entwickelt und wird diese Anforderungen auch zukünftig weiterentwickeln. Er stellt also die Regeln für die Zertifizierung auf. Die beiden Zertifizierungsstellen, zukünftig hoffentlich noch weitere, führen dann nach diesen Regeln die Audits und die Zertifizierungen bei den Unternehmen durch. Konkret heißt das, dass sich die Zertifizierungsstellen auf Basis von aussagekräftigen Unterlagen, die die Unternehmen einreichen müssen, zunächst ein Bild von den Leistungen des Unternehmens in Bezug auf die Nachhaltigkeit machen. Oft werden dazu auch noch Unterlagen nachgefordert, wenn die Dokumentation an der einen oder anderen Stelle noch nicht ausreicht. Wenn die Bewertung positiv ist, folgt als nächstes ein Audit im Unternehmen. Dabei werden letzte Detailfragen geklärt und vor allem wird geprüft, ob die eingereichten Unterlagen auch mit der Unternehmenspraxis übereinstimmen. Hat sich der Auditor oder die Auditorin insgesamt davon überzeugt, dass das Unternehmen die Anforderungen einhält, erstellt er oder sie dazu einen Auditbericht und gibt ihn an die Zertifizierungsstellenleitung weiter. Diese entscheidet dann über die Zertifizierung. Beim ersten Mal oder wenn sich die Anforderungen wesentlich ändern, ist dieser Audit- und Zertifizierungsprozess sehr aufwändig, weil jede Anforderung im Detail geprüft wird. In den Folgejahren gibt es jährlich wiederkehrende Audits. Bei diesen werden aber primär konkrete Veränderungen geprüft, z. B. wenn sich Lieferanten oder die Produktion ändern, und darüber hinaus stichprobenartig die fortdauernde Einhaltung der Anforderungen. Wenn alles in Ordnung ist, erhält das Unternehmen jährlich eine Bestätigung, dass es weiterhin die Zertifizierungsvoraussetzungen erfüllt.

 

BFT International: Wie sieht es mit der Neutralität und Transparenz aus? Sind diese sichergestellt?

Dr.-Ing. Jens Uwe Pott: Ja. Der Bund Güteschutz legt großen Wert sowohl auf Neutralität als auch auf Transparenz. Es wurde extra ein Güteausschuss Nachhaltigkeit gebildet, in den Personen aus unterschiedlichen interessierten Kreisen aufgenommen wurden; z. B. von der IG Bau, der BG RCI, freiberufliche Planerinnen und Planer, Fachleute aus Wissenschaft und Forschung, von technischen Verbänden und von Fertigteilherstellern. Die meisten haben einer Veröffentlichung ihrer Namen zugestimmt und sind auf der SUSTAINABLE PRECAST-Homepage genannt. Dieser Güteausschuss hat sich intensiv mit den Anforderungen befasst und diese vor Veröffentlichung freigegeben. Der Güteausschuss bekommt aber auch alle Anträge auf Anerkennung von Zertifizierungsstellen und Auditoren bzw. Auditorinnen zur Prüfung vorgelegt und kann Bedenken gegen Institutionen oder Personen äußern. Diese Bedenken müssen dann ausgeräumt werden, damit es zu einer Anerkennung kommen kann. Überhaupt werden auch an die Zertifizierungsstellen und das Auditpersonal Anforderungen hinsichtlich der Neutralität und Unabhängigkeit gestellt, die auf geeignete Weise nachgewiesen werden müssen. Nicht zuletzt gibt es einen Verhaltenscodex, auf den alle Mitarbeitenden im System verpflichtet werden.

Die Transparenz kann natürlich nicht so weit gehen, dass schützenswerte Informationen der zertifizierten Unternehmen öffentlich werden. Die Dokumente der Unternehmen bleiben geschützt und können nur von dem beauftragten Personal der Zertifizierungsstelle eingesehen werden sowie zu Zwecken der Qualitätssicherung von der Geschäftsführung des Bund Güteschutz. Bestehen dann begründete Zweifel an dem korrekten Vorgehen bei einer Zertifizierung kann in Ausnahmefällen auch einzelnen Mitgliedern des Güteausschusses zu Kontrollzwecken Einsicht in die Zertifizierungsunterlagen gewährt werden. Dabei sind natürlich in jedem Einzelfall Interessenskonflikte auszuschließen und die Vertraulichkeit sicherzustellen.

 

BFT International: Was mich persönlich sehr interessiert: Wie streng sind die Kriterien? Was würden Sie persönlich schätzen, wieviel Prozent der Betonfertigteilunternehmen erfüllen bereits die Anforderungen?

Dr.-Ing. Jens Uwe Pott: Das ist sehr schwer abzuschätzen, da bisher in Bezug auf die Nachhaltigkeit niemand einen umfassenden Überblick über die ganze Branche hat. Ich schätze mal, dass maximal 10% der Unternehmen sowohl die konkreten Anforderungen als auch die Vorgaben zu den Nachweisen bzw. der Dokumentation bereits weitestgehend erfüllen. Darüber hinaus gibt es sicher einen größeren Teil von vielleicht 25%, die in der Praxis die Anforderungen bereits weitgehend erfüllen, aber noch an einzelnen Aspekten und vor allem an ihrer Dokumentation arbeiten müssen, um die erforderlichen Nachweise zu erbringen. Das schließt auch Nachweise von Lieferanten ein, die eingeholt und dokumentiert werden müssen. Für weitere 15% sollten die Anforderungen mit deutlichem Aufwand aber absehbar erfüllbar sein. Wir versprechen ja, dass die Firmen für eine Zertifizierung im branchenvergleich überdurchschnittliche Leistungen im Bereich der Nachhaltigkeit nachweisen müssen. Daraus ergibt sich, dass wir die Kriterien spätestens dann nachschärfen müssen, wenn sie von annähernd 50% der Firmen weitgehend erfüllt werden. Allerdings wollen wir nicht darauf warten, sondern uns mit der Verschärfung der Kriterien auch an den gesellschaftlichen Transformationszielen orientieren.

 

BFT International: Seit 2023 gilt in Deutschland ja das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Firmen sind verpflichtet, sowohl im eigenen Unternehmen als auch entlang ihrer Lieferketten regelmäßig Risikoanalysen im Hinblick auf negative Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsziele – insbesondere Menschenrechte und soziale Verantwortung – zu erstellen. Warum lohnt sich eine SUSTAINABLE PRECAST Zertifizierung auch für Betriebe, die aktuell nicht vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffen sind?

Dr.-Ing. Jens Uwe Pott: Grade die mittelständischen Firmen, die nicht unmittelbar vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffen sind, stehen immer öfter vor der Situation, dass ihre Kunden Auskunft über die Nachhaltigkeit des Unternehmens oder seiner Produkte verlangen. Das kann daran liegen, dass der Kunde unter das Lieferkettensorgfaltspflichten gesetzt fällt und Informationen über seine Lieferketten einholen muss oder es sind andere gesetzliche Vorgaben, wie die europäische CSRD oder Regelungen zur Taxonomie, die das erfordern. Zunehmend häufiger haben Kunden aber auch jenseits von gesetzlichen Vorgaben ein Interesse an nachhaltigen Produkten, z. B. weil sie ihr Bauwerk von der DGNB zertifizieren lassen wollen. Während die großen Firmen Strukturen haben, die es ermöglichen, den gesetzlichen Berichtspflichten nachzukommen, stehen kleine und mittelständische Unternehmen der Frage nach ihrer Nachhaltigkeit oft sehr hilflos gegenüber. Zwar entwickelt die europäische Kommission derzeit auch Vorschläge, wie solche Firmen ihre Nachhaltigkeit darlegen können, aber das ist natürlich überhaupt nicht branchenspezifisch. Genau hier setzt SUSTAINABLE PRECAST an. Der Anforderungskatalog für die Zertifizierung adressiert sowohl allgemeine Mindestanforderungen als auch konkrete branchenspezifische Aspekte. Die Firmen können also den Anforderungskatalog abarbeiten und die entsprechenden Nachweise zusammentragen. Nach einer erfolgreichen Zertifizierung können sie dann bei Kundenfragen das Zertifikat vorlegen und damit ihre Nachhaltigkeit nachweisen. Sollte einem Kunden das Zertifikat mal nicht ausreichen, so dass dieser Einzelnachweise verlangt, kann das Unternehmen auf die Sammlung von Nachweisen aus dem Zertifizierungsprozess zurückgreifen und die Fragen entsprechend schnell beantworten.

 

BFT International: Wenn ein Unternehmen die Zertifizierung erhalten hat, ist diese dann für immer gültig? Oder unterliegen die Zertifikate nach Ausstellung einer wiederholten Überprüfung?

Dr.-Ing. Jens Uwe Pott: Ich hatte das ja zuvor schon kurz angerissen. Nach dem Erstaudit und der Erteilung der Zertifikate müssen jährliche Bestätigungsaudits erfolgen. Diese dienen einerseits der Überprüfung, ob die Feststellungen aus dem Erstaudit weiterhin bestand haben. Andererseits gibt es auch immer wieder kleinere Veränderungen, z. B. den Wechsel eines Lieferanten, Outsourcing an Sub- oder Werkvertragsunternehmen, neue Maschinen oder Produkte und vieles mehr. Das alles tangiert auch soziale oder ökologische Aspekte, wie z. B. die Entlohnung, die Arbeitssicherheit oder Ökobilanzwerte. Das können positive oder negative Veränderungen in Bezug auf die Nachhaltigkeit sein. Wir sind davon überzeugt, dass die Transformation der Branche nur gelingen kann, wenn die Firmen kontinuierlich an dem Thema dranbleiben. Gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, bei denen sich keine eigenen Abteilungen um die Nachhaltigkeit kümmern, halten wir es für wichtig, das Thema Nachhaltigkeit regelmäßig in Erinnerung zu rufen und auf die Tagesordnung zu setzen. Natürlich wird das die Firmen im Tagesgeschäft manchmal nerven. Aber wir wissen doch alle, dass wir gelegentlich den seichten Anstoß von außen brauchen, um ein Projekt wieder in den Fokus zu nehmen. Die Nachhaltigkeitszertifizierung ist ja etwas, das viele Firmen freiwillig angehen.

 

BFT International: Was müssen interessierte Betonfertigteilunternehmen jetzt tun, wenn sie zertifiziert werden möchten?

Dr.-Ing. Jens Uwe Pott: Das ist eigentlich ganz einfach. Auf der Web-Seite www.sustainable-precast.de können die Unternehmen sich sowohl über die inhaltlichen Anforderungen als auch über die anerkannten Zertifizierungsstellen des SUSTAINABLE PRECAST-Systems informieren. Dort findet man auch die Ansprechpartner der Zertifizierungsstellen. Wenn man das Zertifizierungsprogramm einmal durchgegangen ist und den Eindruck hat, alle Mindestanforderungen und insgesamt ca. 75% der Anforderungen zeitnah erfüllen zu können, dann sollte man sich an eine der anerkannten Zertifizierungsstellen wenden, derzeit den BAU-ZERT e. V. oder die argus CERT BAU GmbH, und mit dieser den weiteren Ablauf besprechen.

 

BFT International: Vielen Dank für dieses interessante und ehrliche Interview!

Interview: Karla Knitter, M.Sc.

CONTACT:

Bund Güteschutz Beton- und Stahlbetonfertigteile e.V.

Gerhard-Koch-Str. 2 + 4

73760 Ostfildern/Germany

Dr.-Ing. Jens Uwe Pott

+49 5139 9994 40

www.sustainable-precast.de

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