Ankerlose Befestigungsschiene – neu gedacht und nachgewiesen

Mit steigenden Lastanforderungen bei zeitgleich stark gemindertem Bauraum müssen Produkte zur Lasteinleitung entwickelt werden, die ohne tief sitzende Verankerung den Anforderungen gerecht werden. Mit der neu zugelassenen ankerlosen Befestigungsschiene JTB-LA von Pohlcon lassen sich nun Lasten in deutlich filigranere Betonfertigteile einleiten.

Mit steigenden Lastanforderungen bei zeitgleich stark gemindertem Bauraum müssen Produkte zur Lasteinleitung entwickelt werden, die ohne tief sitzende Verankerung den Anforderungen gerecht werden. Darüber hinaus werden Material- und Ressourceneinsparung neben klassischen Kennzahlen wie den übertragbaren Kräften zunehmend zum Muss im Lastenheft. Mit der neu zugelassenen ankerlosen Befestigungsschiene JTB-LA von Pohlcon lassen sich nun Lasten in deutlich filigranere Betonfertigteile einleiten, wodurch der Planungsaufwand minimiert und die gestalterische Freiheit erhöht werden.

Auch bei heutigen Entwicklungen werden die Erkenntnisse von vor mehr als 110 Jahren eingesetzt, für aktuelle Bedürfnisse im Bauwesen adaptiert und erweitert: Der Weg zur ankerlosen Befestigung im Beton führt über die Vorläufer der Ankerschiene und bedient sich ähnlicher Prinzipien. Vor der Erfindung der klassischen Ankerschiene im Jahr 1913 wurden Lasten über trapezförmige Holzleisten eingeleitet, die dank ihrer Form einen Hinterschnitt unterhalb der Betonoberfläche erzeugten. Abgewinkelte Nägel verbesserten den Widerstand leicht. 1966 entwickelten die Techniker der damaligen Deutschen Kahneisen Gesellschaft „mit der trapezförmigen Ankerschiene eine komplett neuartige Profilserie für den Betonfertigbau“ [DKG2007]. Diese schuf, wie bereits die Holzleisten, aufgrund ihrer Form selbständig einen Hinterschnitt im Beton. Mit der Zeit und steigenden Lastanforderungen wichen angebrachte Bügel und Drähte den I-Ankern und Rundankern als Rückverankerung [KRA2003]. Auch die Trapezform wich den leistungsfähigeren C-Profilen, die mit größeren Winkeln höhere Belastungen aushielten. Für geringere Lasten wurden Schienen mit kleinen Ankern verwendet, bei denen direkt in den Schienenrücken geschraubt wurde (Abbildung 1).

 

Verankerung mit filigranen Lösungsansätzen

Mit dem Blick auf aktuelle und zukünftige Projekte, die den Einsatz von filigranen Strukturen vermehrt priorisieren, sind tief einbetonierte Anker geometrisch nicht mehr geeignet, um die geforderten Lasten in das Betonelement einzuleiten. Eine Methode, die Last ohne Anker an der Schiene einzuleiten, ist es, wie bei den Holztrapezleisten oder den Trapezschienen die Geometrie der Schiene selbst als Betonhinterschnitt zu verwenden, ohne dabei jedoch den Beton wie bisher zu spreizen und damit Risse zu begünstigen. Im Profil der neu entwickelten ankerlosen ankerlosen Befestigungsschiene JTB-LA (Abbildung 2, links) wird die Kraftübertragung nicht durch Spreizen des Beton realisiert, sondern durch einen Hinterschnitt, mit dem sich die Schenkel der Schiene selbst hinter dem Beton verzahnen.

Um die Verbindung zwischen Schiene und Beton zu verstärken und ein sicheres Festkrallen der Schiene gewährleisten zu können, wurde neben dem Hinterschnitt die Verankerung selbst neu gedacht. So induzieren nicht tief eingebettete Anker die Last in den Beton, sondern es greift der gegenteilige Ansatz: Das Entfernen von Material durch Stanzungen in den Schenkeln der Schiene sorgt für eine effiziente Lasteinleitung bei zeitgleich geminderter Verankerungstiefe. Durch diese fließt der Beton zwischen die Schenkel der Schiene, sie werden damit selbst zum linienförmigen Anker (Abbildung 2, rechts).

Experimentelle Untersuchungen und die Bestätigung der Theorie

Die Verbindung zwischen Schienenrücken und Befestigungsmittel lässt sich über die Blechstärke leicht einstellen und ist für den Fall der ankerlosen Befestigungsschiene JTB-LA durch den Hersteller der verwendeten Befestigungsmittel vorgegeben. Wie in den meisten Anwendungsfällen einer Verankerung in Beton ist der Widerstand limitiert durch die Widerstandsfähigkeit des Grundmaterials gegen die Ausbildung eines Betonausbruchkegels [ELI1991, ELI1998]. Auch mit dem neuen Ansatz der Verankerung ändern sich die Eigenschaften des Grundmaterials nicht. In Versuchen ist der charakteristische Betonausbruchkegel als Versagensart erkennbar (Abbildung 3).

Parallel zu den im Rahmen der Optimierung durchgeführten Versuchen wurden Simulationsmodelle abgleitet. Diese ermöglichen es, mechanische Effekte zu visualisieren und gezielte Optimierungen vorzunehmen (Abbildung 4). Die Zuglast beträgt 6,5 kN im Vollmodell beziehungsweise 3,25 kN im Halbschnitt, aufgebracht an einem Stahlzylinder, der die Schraube darstellt. Befestigt ist der Betonkörper an der Stirnfläche und Rückseite entlang der Schienenachse, um den meistgenutzten Anwendungsfall nachzuvollziehen [PCN2022]. Betonkörperhöhe und Randabstände entsprechen Mindestmaßen der Zulassung [PCN2148]. Alle Kontaktflächen, die einen Druck auf den Beton ausüben, werden als Verbund angenommen. In der Auswertung wird die Schiene selbst ausgeblendet und die in den Beton induzierte Spannung betrachtet. Als Materialmodell wird C25/30-Beton verwendet, die Zugfestigkeit liegt softwareseitig bei 2,4 MPa (in der DIN EN 1992-1-1 bei 2,6 MPa).

Im Vergleich zu punktförmiger Lasteinleitung (Abbildung 3, oben, und Abbildung 5, rechts) zeigt sich die projizierte Dreiecksfläche des Betonausbruchkegels linienförmig entlang der Schienenlängsachse beziehungsweise der linienförmigen Verankerung durch die Schenkel der Schiene. In begleitenden numerischen Simulationsmodellen ist die in den Beton induzierte Spannung in der charakteristischen Ausprägung visuell nachvollziehbar (Abbildung 5). Rote Bereiche zeigen Positionen, die im Bereich des Betonversagens liegen.

Hier zeigt sich, dass bei der Verwendung einer linienförmigen Verankerung die Spannung deutlich großflächiger und weniger punktuell eingeleitet wird als dies bei einer Schienenvariante mit tief eingebetteten Ankern der Fall ist. Wird die Spannung in der Abbildung zu niedrigeren Maximalwerten hin verschoben, so wird das wellenförmige Ausbruchmuster entlang der Schiene an jeder Stanzung offenbar. Die Lasteinleitung direkt über dem Steg der JTB-LA stellt dabei wie bisher eine Belastung direkt über einem Anker dar, den ungünstigsten Fall für die Lasteinleitung. Bis die Last in den Beton eingeleitet wird, kann die Schiene im Vergleich zur Befestigung über der Mitte der Stanzung deutlich weniger Formänderungsarbeit leisten (Abbildung 6). Der Optimierungsprozess wurde weiterhin durch eine geometrische Parameterstudie für die linienförmige Verankerung durch die Schenkel der Schiene ergänzt und mittels experimenteller Untersuchungen
verifiziert.

 

Vom Versuchsergebnis zum Zulassungswert

Eine ganzheitliche Prüfung aller Belastungsrichtungen war ebenfalls Teil der Arbeiten zur optimierten ankerlosen JTB-LA-Trapezblechbefestigungsschiene (Abbildung 7). Für diese Versuchsreihen wurde ein Betonversagen forciert, um die maximal übertragbare Kraft der linienförmigen Verankerung zu ermitteln.

Hierbei konnten deutlich erhöhte Widerstände bei Scherbelastung des Verankerungssystems festgestellt werden. Zugleich tritt das Versagen mit deutlich geringerer Verformung auf. Entsprechend der Versuche darf die ankerlose Schiene in drei Richtungen belastet werden. Bei gleichzeitiger Belastung in verschiedene Richtungen wird die Gesamtbelastung FRd mittels quadratischer Interaktion nach Gleichung (1) berechnet.



Mit

FRd      -           zugelassene Gesamtbelastung der JTB-LA-bxt

FEd,x,y,z -           Lasteinwirkung längs (x), quer (y) und normal (z) zur Schienenachse

 

Da für den zulässigen Widerstand FRd der niedrigste Widerstand aus Versuchen normal zur Schienenachse maßgebend für alle Belastungsrichtungen eingesetzt wurde, vereinfachen sich die Berechnungen der Lastresultierenden entlang einer Kugelfläche zwischen den Lastrichtungen. In den Lastrichtungen längs und quer zur Schienenachse ergeben sich dadurch große Sicherheitsreserven (Gleichung (2), Abbildung 8).



Mit

Sx,y,z    -        Sicherheit längs (x), quer (y) und normal (z) zur Schienenachse;

FRk,x,y,z -        Versuchswiderstand längs (x), quer (y) und normal (z) zur Schienenachse;

FRd,x,y,z -      zugelassener Widerstand längs (x), quer (y) und normal (z) zur Schienenachse.

 

Die in Abbildung 8 dargestellten Versuchsergebnisse zeigen die charakteristischen Widerstände mit dem maßgebenden Versagen zwischen verwendeter Bohrschraube und Schienenrücken. Dies tritt dann auf, wenn kein Betonversagen mit technischen Mitteln erzwungen wird. Die Sicherheiten S variieren je nach Schienengeometrie in Richtung der Hauptlastrichtungen längs (x) oder quer (y) im Bereich von 2,9 bis 3,1. Im Vergleich dieser Bereiche mit den zugelassenen Werten der konventionellen JTB-uni mit tief sitzenden Ankern dürfen auf gleicher Länge 37 % bis 65 % der Last in Zugrichtung mit der oberflächennahen Linienverankerung übertragen werden. Die Verankerungstiefe reduziert sich allerdings auch um 65 % gegenüber JTB-uni. Verglichen mit der JTB-AR mit Bügelankern liegt die Reduktion sogar bei 76 % (vgl. Abbildungen 4 und 5 sowie [PCN161, PCN2148, Schraubabstand 150 mm]).


Ankerloses Schienensystem für Betonfertigteile

Mit der neuen, ankerlosen Befestigungsschiene können die Lasten in drei Richtungen zuverlässig in dünne Betonelemente bereits ab 150 mm Mindesthöhe eingeleitet werden [PCN2148]. Aufgrund der eingesparten tief sitzenden Verankerung ist eine Überschneidung mit der Bewehrung ausgeschlossen, die ankerlose Befestigungsschiene JTB-LA kann flexibel an der Schalung bzw. der späteren Betonoberfläche platziert werden. Da keine Mindestbetondeckung nötig ist, erlaubt sie eine Montage in schlank geplanten Betonbauteilen. In-situ erfolgt die oberflächenbündige Montage verschiedener Konstruktionen mittels selbstschneidender Bohrschrauben mit nur einem Arbeitsschritt.

Das Entfallen tief sitzender Anker bei praxistauglicher Lasteinleitung bringt für Planende, verarbeitende Fertigteilwerke sowie bei der Betonage auf der Baustelle deutliche Vorteile. Mit dem Einsatz der ankerlosen Befestigungsschiene JTB-LA wird mit Blick auf den aktuellen und zukünftig verstärkten Einsatz von Leichtbauelementen neben der gewonnenen Gestaltungs- und Dimensionierungsfreiheit auch ein großes Potenzial an Material- und Ressourceneinsparung geschaffen.

Die aufnehmbaren Lasten sind mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung Z-21.4-2148 [PCN2148] nachgewiesen. Mit der Werkstoff- und Beschichtungsauswahl wird die Korrosionswiderstandsklasse C 3 [ISO12944] erfüllt und macht die Schiene für viele Bereiche innen wie außen anwendbar. Auch mit der Wahl der Betonfestigkeit wird mit den Festigkeitsklassen C25/30 bis C50/60 ein großes Einsatzfeld abgedeckt. Mit der Einschränkung des ungenutzten technischen Potenzials in Form höherer Lasten, die in den Hauptlastrichtungen längs und quer übertragen werden könnten, ergeben sich durch die Zulassung wesentliche Vorteile: Dazu gehören die vereinfachte Berechnung des Gesamtwiderstandes, die Auswahl der passenden ankerlosen Schiene aus einer Tabelle und resultierende hohe Sicherheitswerte in Hauptlastrichtungen. Alle Parameter zur Montage, Platzierung und Belastung sind in der Zulassung zu finden. Für das zukünftige Bauen gilt: Wer filigrane Strukturen einsetzen möchte, kann sich keine tief sitzende Verankerung mehr leisten.

REFERENCES/LITERATURVERZEICHNIS
 
DKG2007 Virnich, C.-J. (2007). Ein Pionier wird 100. Deutsche Kahneisen Gesellschaft mbH, Jordahl Befestigungstechnik (1. Auflage). Geschichtsbüro Verlag, Köln. ISBN 978-3-940371-05-8. Seite 38.


ELI1991 Eligehausen, R., Ozbolt, J.: Use of the tensile strength in anchorage to concrete. Structural concrete : IABSE colloquium Stuttgart 1991. Zürich, 1991 (IABSE reports 62). - ISBN 3-85748-063-7, S. 731-736


ELI1994 Eligehausen, R., Thomas M.,S.: Moderne Befestigungstechnik. Hering, Jürgen (Hrsg.): Artur Fischer : Reden beim Symposium aus Anlaß der Verleihung der Ehrendoktorwürde (Dr.-Ing. E.h.) an Senator E.h. Prof. Dr. phil. h.c. Artur Fischer durch die Univ. Stuttgart am 9. Dez. 1994. Stuttgart : Univ.-Bibl., 1994, (Reden und Aufsätze / Univ. Stuttgart 49), S. 22-48


ELI1998Eligehausen, R., Sawade, G.: Anchorage to concrete. Elfgren, Lennart (Hrsg.): Fracture mechanics of concrete structures. London : Chapman and Hall, 1989. - ISBN 0-412-30680-8, S. 263-280


JOR1913 Jordahl, A. (1913). Geschlitztes hohles Bewehrungseisen für Eisenbetonbauten zur Aufnahme von Befestigungsbolzen für Lagerböcke u. dgl. Kaiserliches Patentamt (292751). https://depatisnet.dpma.de/DepatisNet/depatisnet?action=basis (DE000000292751A).


JTB2023 PohlCon GmbH. JORDAHL® Trapezblechbefestigungsschiene JTB. Produktwebsite. Available at https://pohlcon.com/produktkategorien/befestigung/befestigungstechnik/jordahl-trapezblech-befestigungsschiene-jtb. Accessed 02.05.2023.


KRA2003 Kraus, J.: Tragverhalten und Bemessung von Ankerschienen unter zentrischer Zugbelastung. Institut für Werkstoffe im Bauwesen der Universität Stuttgart. 08.07.2002. München.


PCN161 JORDAHL Trapezblechbefestigungsschiene JTB als Verankerung in Betonbauteilen. Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung abZ. Available at https://pohlcon.com/fileadmin/user_upload/jordahl-group.com/downloads/approvalsabZ-21.4-161_Trapezblechbefestigungsschiene_JTB-AR_und_JTB-uni.pdf. Accessed 02.05.2023.


PCN1998 JORDAHL Trapezblechbefestigungsschiene JTB-uni als Verankerung in Betonfertigteilen. Allgemeine Bauaufsichtliche Zulassung abZ. Z. 21-4.161:1998-02. Ersetzt durch [PCN161]


PCN2022 PohlCon GmbH. JORDAHL Schienen und Zubehör Katalog. Available at https://pohlcon.com/fileadmin/user_upload/jordahl-group.com/downloads/Broschueren/de/PC-LIT-TI-SUZ-DE_WEB.pdf. Accessed 09.06.2023. Ausgabe November 2022. Seite 76.


PCN2023 PohlCon GmbH. 110 Jahre Ankerschiene. Available at https://pohlcon.com/unternehmen/news-und-presse/details/110-jahre-ankerschiene-ein-grund-zum-feiern. Accessed 03.08.2023.


PCN2148 JORDAHL Trapezblechbefestigungsschienen JTB-LA als Verankerung in Betonfertigteilen. Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung abZ. Deutsches Institut für Bautechnik DIBt. Available at https://www.dibt.de/de/service/zulassungsdownload/detail/Z-214-2148. Accessed 02.05.2023.


ISO12944 Europäisches Komitee für Normung. Korrosionsschutz von Stahlbauteilen durch Beschichtungssysteme. Teil 2: Einteilung der Umgebungsbedingungen. DIN EN ISO 12944-2:2018-04.

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