Betonwerkstein für neue Möglichkeiten im Denkmalschutz
In Kassel gelang mit der Wiedererrichtung des Bergfrieds der Löwenburg ein aufsehenerregendes Beispiel für die Verwendbarkeit von Betonwerkstein im Denkmalschutz. Ursprünglich aus Tuffstein gebaut, dämmerte die Löwenburg lange als Dauer-Sanierungsfall vor sich hin. Erst die Idee, den Tuffstein aus Betonwerkstein nachzubilden, brachte den nötigen Anschub für den Wiederaufbau. Die an der Materialprüfanstalt der Universität Kassel entwickelte Rezeptur für den Betonwerkstein/Kunststein basiert auf Dyckerhoff Weiss als Bindemittel.
Hergestellt wurde der künstliche Tuffstein im Werk Bad Langensalza der Dyckerhoff Transportbeton Thüringen. An insgesamt 14 Samstagen mietete die mit den Betonwerksteinarbeiten beauftragte Firma Denkmalpflege Mühlhausen Huschenbeth die Mischanlage an. Das Hauptmaterial für die Rezeptur war am Kuhberg bei Kassel gewonnener, zu einer Gesteinskörnung von 0,25 bis 32 mm zerkleinerter Tuff. Weiterhin wurden Basaltlava, Travertin und Trassmehl sowie die Farbpulver Eisenoxid gelb und schwarz zugegeben. Als Bindemittel kamen 308 t Dyckerhoff Weiss Decor zum Einsatz.
Mit dem gemischten Material wurden 282 Tuff-Betonblöcke (Abmessungen 2 x 1 x 1 m) gegossen, aus denen erst nachträglich in gefühlvoller Kleinarbeit 4.500 Mauerstein-Unikate herausgesägt wurden. Historische Unterlagen lieferten Maße und Lage der zunächst als 3D-Modelle im Computer entstandenen Steinblöcke. Ein einziger Maurer der Firma Enders aus Fulda mauerte den Turm in rund zwei Jahren hoch. Als Mauermörtel kam Vormauermörtel Rajasil VMM von Heck Wall Systems aus Marktredwitz zum Einsatz.
Originalgetreuer Wiederaufbau mit künstlichem Tuffstein
Die Idee für den künstlichen Tuff kam dem damaligen Geschäftsführer der Materialprüfanstalt der Universität Kassel, Peter Machner, bereits im Jahr 2009 bei der Arbeit mit natürlichem Tuff. „Bei der Gewinnung von Tuff wird viel Abfall produziert, den ich wiederverwenden wollte“, so Machner. Er mischte klein gebrochenen Tuffstein als Gesteinskörnung in einen Zementleim und konnte so künstlichen Tuffstein herstellen.
Jahrhunderte nach der eigentlichen Bauphase von Burgen in Deutschland wurde die Löwenburg zwischen 1793 und 1801 vom Baumeister Heinrich Christoph Jussow errichtet. Das Bauwerk sollte eine mittelalterliche Ritterburg nachahmen und war deshalb von Anfang an als künstliche Ruine konzipiert. Als Baumaterial bot sich der in der Nähe verfügbare Habichtswalder Tuff an. Dieses dunkle Gestein unterstrich den mittelalterlichen Ruinencharakter und war zudem gut zu bearbeiten. Immanenter Nachteil: Tuff ist von Natur aus nicht sehr beständig und deshalb für den Gebäudebau eigentlich ungeeignet.
Die Löwenburg gehört zur UNESCO-Welterbestätte Bergpark Wilhelmshöhe. Diese gartenkünstlerisch gestaltete, 560 ha große Anlage umfasst außerdem das Herkulesdenkmal, das Schloss Wilhelmshöhe und die historischen Wasserspiele. Errichtet wurde die Löwenburg als Wohnsitz des Landgrafen Wilhelm IX. (später Kurfürst Wilhelm I) von Hessen-Kassel für sich und seine Mätresse Karoline von Schlotheim. Kunstgeschichtlich ist die Löwenburg eines der ersten bedeutenden Gebäude der Neugotik in Deutschland und gilt deshalb als wegweisend.
Der 25 m hohe Bergfried (das ist der unbewohnte Hauptturm einer mittelalterlichen Burg – d. Red.) der Löwenburg wurde bereits zum dritten Mal wiederaufgebaut. Der erste große Turm aus dem 18. Jahrhundert hielt nur 50 Jahre, dann brach er zusammen. Der zweite Turm hielt bis 1945, bevor er – ohnehin in einem schlechten Zustand – in den letzten Kriegstagen einer Fliegerbombe zum Opfer fiel. Bauherr der Wiederherrichtung ist das Land Hessen, Baubeginn war 2015.