Neues Merkblatt mit Sichtbetonklassen für
Betonfertigteile

Das neue Merkblatt Sichtbetonfertigteile [1] erweitert das im Ortbetonbau etablierte Konzept der Sichtbetonklassen [2] um spezifische Anforderungen für den Betonfertigteilbau. Es wendet sich mit wichtigen Hinweisen zu Planung und Ausführung an Bauherrinnen und Bauherren, Architektinnen und Architekten, Fertigteilunternehmen und Bauausführende.

Beton ist einer der vielseitigsten und vielfältigsten Baustoffe unserer Zeit. Er dient als Konstruktionsbaustoff und ist für diese Aufgabe umfassend genormt und geregelt. Oftmals dient Beton aber auch der Gestaltung von Bauwerken. Von Sichtbeton spricht man dann, wenn bereits in der Planung Anforderungen an das Aussehen von Betonoberflächen definiert werden, die später im Bauwerk dauerhaft sichtbar bleiben.

Die Anforderungen an Sichtbeton werden daher geprägt durch gestalterische Erwartungen und sind Teil des architektonischen Entwurfs. Dabei sind den Gestaltungsmöglichkeiten kaum Grenzen gesetzt. Nicht nur durch die Zusammensetzung des Betons, sondern auch durch die Art der Schalhaut und eine nachträgliche Bearbeitung der Oberfläche können sehr unterschiedliche optische und haptische Eindrücke erreicht werden. Festlegungen für Sichtbeton bedürfen einer sehr genauen und individuellen Beschreibung und einer engen Abstimmung zwischen Planung und Ausführung. Je weiter sich die Ausführung vom normalen Standard entfernt, desto höher sind auch die zu erwartenden Kosten.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass für die überwiegende Zahl der ausgeführten Sichtbetonbauwerke nicht auf die ganze Bandbreite der Gestaltungsmöglichkeiten zurückgegriffen wird. Vielmehr ist die Erwartung einfach ein „schöner Beton“. Da Beton überwiegend aus natürlichen Ausgangsstoffen besteht, die auch unvermeidbaren natürlichen Schwankungen unterliegen, und teilweise handwerklich verarbeitet wird, ist jede Betonoberfläche ein Unikat. Genauso kann die Vorstellung von einem „schönen Beton“ individuell sehr verschieden sein.

Dennoch hat sich in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten die in der ersten Fassung des DBV/VDZ-Merkblatts Sichtbeton [2] eingeführte Klassensystematik mit den Sichtbetonklassen SB 1 bis SB 4 für die Beschreibung von Sichtbetonflächen im Betonbau etabliert. Dabei steht ein möglichst gleichmäßiger Gesamteindruck von Sichtbetonflächen im Fokus, der in vier Qualitätsstufen unterteilt wird. In Abhängigkeit davon, wie exponiert die Sichtbetonfläche im Bauwerk zur Geltung kommt, wie weit man bei der üblichen Nutzung des Bauwerks von der Sichtbetonfläche entfernt ist und wie hoch der Aufwand – auch im Hinblick auf die Kosten – sein soll, kann einer Sichtbetonfläche eine Sichtbetonklasse zugeordnet werden. Werden diese Sichtbetonklassen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vertraglich vereinbart, liegt dem Vertrag eine von Fachleuten erarbeitete und bewährte Beschreibung der Sichtbetonoberflächen zugrunde. Diese berücksichtigt ausgewogen sowohl die unterschiedlichen Qualitätsansprüche der Auftraggeberseite als auch die technisch erreichbaren Sichtbetoneigenschaften unter Berücksichtigung des für die jeweilige Sichtbetonklasse üblichen Aufwands für das ausführende Unternehmen.

Die im aktuellen DBV/VDZ-Merkblatt Sichtbeton [2] beschriebene Klassensystematik wird oftmals auch im Bereich des Betonfertigteilbaus angewendet. Da ihre Anforderungen aber aus dem Ortbetonbau abgeleitet sind, werden fertigteilspezifische Themen, z. B. die produktionsbedingt große Bedeutung ungeschalter Oberflächen und Einflüsse aus dem Transport oder der (Zwischen-)Lagerung von Betonfertigteilen, nicht oder nicht vollumfänglich behandelt. Das führt in der Praxis immer wieder zu Defiziten in der Planung und Ausschreibung von Sichtbetonfertigteilen. In der Folge erreicht die Ausführung nicht die gewünschten Sichtbetonqualität oder es besteht Unklarheit darüber, wie mit den fertigteilspezifischen Einflüssen umzugehen ist, die in den bestehenden Klassen des DBV/VDZ-Merkblatts Sichtbeton [2] nicht berücksichtigt sind. Hier setzt das neue Merkblatt Sichtbetonfertigteile [1] an, das die bestehende Systematik der Sichtbetonklassen aus dem DBV/VDZ-Merkblatt Sichtbeton [2] aufgreift und um fertigteilspezifische Aspekte ergänzt. Neben einer Erweiterung der Klassensystematik, einschließlich einer Beschreibung ungeschalter Oberflächen, liefert das neue Merkblatt Sichtbetonfertigteile [1] auch wichtige Hinweise, was im Zuge der Planung von Sichtbetonflächen beim Bauen mit Betonfertigteilen besonders zu beachten ist.

 

Hinweise und Anforderungen

Die Anforderungen, welche an die Betonfertigteile gestellt werden, beinhalten Themen wie die Ausbildung der Einfüllseite, die Lagerung und den Transport, die Gliederung der Oberflächen durch Fugen und durch Elementgrößen, die Oberflächenbearbeitung oder mögliche Erprobungsbauteile in realen Größen.

Der große Vorteil bei der Herstellung von Betonfertigteilen liegt darin, dass diese nicht in der gleichen Ausrichtung betoniert werden müssen, in der sie in das Bauwerk kommen. Dadurch vermeidet man z. B. große Betonierhöhen oder Betonier- und Verdichtungsfehler. Um dies zu gewährleisten, stellt man Betonfertigteile vorwiegend in liegender Position her (Abbildung 1). Daraus ergibt sich, dass der Beton über eine Seitenfläche in die Schalung eingefüllt und diese Seitenfläche als ungeschalte Oberfläche ausgeführt wird. Auch diese Fläche kann eine Sichtbetonfläche sein (Tabelle 1). Dabei ist zu beachten, dass zwischen geschalten Flächen und der ungeschalten Fläche fertigungsbedingte optische Unterschiede bestehen. Es ist durch den Planer festzulegen, wie die Oberfläche bearbeitet und somit gestaltet werden soll (Abbildung 2). Folgende Verfahren sind üblich und bauen oftmals aufeinander auf:

Abziehen;

Abreiben;

Glätten;

Feinglätten, auch zwei- oder dreifaches Glätten genannt;

oder Flügelglätten (maschinell).

 Daneben lässt sich diese ungeschalte Oberfläche auch zum Beispiel durch Rollen oder einen Besenstrich strukturieren. Ist keine ungeschalte Ansichtsfläche gewünscht, muss dieses in der Ausschreibung festlegen werden. Das geht mit deutlich höheren Kosten einher.

Wie bei den geschalten Sichtbetonklassen SB 1-FT bis SB 4-FT (Tabelle 2) sind die Klassen für die ungeschalten Flächen ebenfalls hinsichtlich Textur, Porigkeit, Farbtongleichmäßigkeit, Ebenheit, Lagerung, Transport und Erprobungsbauteil untergliedert. Die einzelnen Klasseneinteilungen unterscheiden sich dabei teilweise von denen der geschalten Flächen, was zum Beispiel bei der Farbtongleichheit unumgänglich ist.

Wenn der Fertigteilhersteller einen großen Aufwand bei der Herstellung der Sichtbetonfertigteile betreibt, ist es wichtig, auch die darauffolgenden Prozesse zu planen. Die Lagerung und der Transport der Betonfertigteile kann mit Wasserläufern, Verfärbungen, Abzeichnungen und Verformungen, z. B. durch Lagerhölzer oder Noppen, einhergehen (L1 bzw. L2). Sollen Verfärbungen und Abzeichnungen an den Sichtbetonflächen vermieden werden (L3) ist dieses in der Planung und Ausschreibung zu berücksichtigen. Auch ein Schutz vor Witterung muss zwischen dem Auftraggeber und dem Hersteller abgestimmt sein und bedarf einer gesonderten Vergütung. Vor allem beim Transport der Betonfertigteile sind die Klassifizierungen mit Bedacht zu wählen. Die üblichen Klassen TP1 und TP2 schließen leichte Verfärbungen und leichte Abzeichnungen nicht aus. Weitergehende Anforderungen und Maßnahmen, die über TP1 und TP2 hinausgehen und in TP3 zusammengefasst sind, sind mit erheblichen Mehraufwendungen verbunden und sollten nur bei besonderen Projekten individuell festgelegt werden.

Beim Einsatz von Betonfertigteilen hat auch die Fugenplanung eine große Bedeutung. Die Fugen dienen neben der Gestaltung auch dem Ausgleich von Maßtoleranzen und Verformungen. Sind strengere Anforderungen an die Fugenbreiten gestellt als in den technischen Regelwerken vorgegeben, müssen diese auch allen Gewerken mitgeteilt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Fugenbreiten und Toleranzen auch bei größter Sorgfalt nicht beliebig reduziert werden können. Das Erscheinungsbild der Fuge wird auch durch die Kantenausbildung der Sichtbetonfertigteile geprägt. Hier kann je nach Wunsch mit Fase (z. B. dreieckförmig oder gerundet) oder auch scharfkantig produziert werden. Je nach Ausführungsart können die Herstellungskosten sowie die Kosten für einen notwendigen Kantenschutz während Lieferung, Lagerung, Montage und Bauzeit deutlich höher ausfallen. Auch nach der Montage ist es ratsam, Sichtbetonfertigteile während der weiteren Bauphase zu schützen, z. B. vor mechanischen Beschädigungen, Beschriftungen oder Verschmutzungen. Es wird empfohlen, diese Leistung insbesondere ab SB 2-FT gesondert zu planen und auszuschreiben.

In Abhängigkeit von den Anforderungen an die einzelnen Betonfertigteile können Erprobungsbauteile (Abbildung 3) hilfreich sein. Hier gibt das Merkblatt Sichtbetonfertigteile [1] vor, dass diese bei Sichtbetonklasse SB 2-FT empfohlen, bei SB 3-FT dringend empfohlen und bei SB 4-FT erforderlich sind. Aus den Erprobungsbauteilen werden ein oder zwei Bauteile als Referenzen für die Ausführungsqualität ausgewählt. Die Anzahl und die Vergütung der Erprobungsbauteile sind vertraglich zu vereinbaren. Die Ausführung von Erprobungsbauteilen unter realen Produktionsbedingungen dient vor allem folgenden Zwecken:

Darstellung von Farbe, Textur, Poren, Fugenbild, Ankerbild und dem Unterschied zwischen ungeschalten und geschalten Oberflächen;

Abstimmung der vertraglichen Oberflächenbeschaffenheit mit dem Auftraggeber;

Prüfung von Alternativen (insbesondere bei Ausführungsdetails);

Vorbereitung des Fertigteilherstellers auf die Serienproduktion der konkreten Sichtbetoneigenschaften.

 

Vorgehen bei Abweichungen

Bei der Beurteilung von Sichtbetonflächen ist stets der Gesamteindruck entscheidend. Deshalb ist es notwendig, die Ansichtsflächen in ihrer Gesamtheit zu bewerten und nicht jedes einzelne Fertigteil für sich zu betrachten. Im Vordergrund steht dabei die gestalterische Wirkung, wobei die Verfehlung von vereinbarten Einzelmerkmalen nicht zu einer Nachbesserung führt, wenn der Gesamteindruck in seiner Gestaltungswirkung nicht gestört ist.

Eine erste Beurteilung der Sichtbetonfertigteile erfolgt bereits bei Gefahrenübergang vom Fertigteilhersteller auf den Auftraggeber. Für die Beurteilung der Qualität der Sichtbetonflächen am Bauwerk (Gesamteindruck) ist aber ein ausreichender zeitlicher Abstand zur Herstellung und Montage erforderlich, da sich die Oberfläche des jungen Betons durch Feuchtigkeitsabgabe noch verändern kann. Bei der Beurteilung des Gesamteindrucks sollen ein angemessener Betrachtungsabstand eingehalten werden, normale Lichtverhältnisse vorherrschen und die Sichtbetonflächen trocken sowie mindestens 28 Tage ausgeschalt sein.

Werden dennoch den Gesamteindruck störende Mängel an den Sichtbetonflächen festgestellt, erfolgt eine Beurteilung der mit dem festgestellten Mangel korrespondierenden Einzelkriterien an der jeweiligen Ansichtsfläche nach den Tabellen 1 und 2. Dabei sind Abweichungen vom Soll beim Gesamteindruck und bei Einzelkriterien genau zu beschreiben, sowie Ist- und Sollzustand gegenüberzustellen.

Mögliche Korrekturmaßnahmen sollten grundsätzlich in enger Abstimmung zwischen dem Sichtbetonteam und dem Ausführenden der Sichtbetonkosmetik erfolgen. Vor- und Nachteile sollten abgewogen werden, damit sich die kosmetisch bearbeiteten Flächen harmonisch in den Gesamteindruck einfügen und ein optimales Ergebnis erzielt wird. Darüber hinaus wird insbesondere bei der Sichtbetonklasse SB 4-FT empfohlen, für die Betonkosmetik eine Probefläche anzulegen.

KONTAKTE

Verband Beton- und Fertigteilindustrie Nord e. V. (VBF Nord),

Unternehmerverband Mineralische Baustoffe (UVMB) e. V.,

Bayerischer Industrieverband Baustoffe, Steine und Erden e. V.

www.baufachinformation.de


REFERENCES/LITERATUR
[1] Merkblatt Sichtbetonfertigteile. Verband Beton- und Fertigteilindustrie Nord e. V.; Unternehmerverband mineralische Baustoffe (UVMB) e. V.; Bayerischer Industrieverband Steine-Erden e. V., Fraunhofer IRB-Verlag, Fassung Januar 2023, ISBN: 978-3-7388-0799-8
[2] DBV/VDZ-Merkblatt Sichtbeton. Deutscher Beton- und Bautechnikverein e. V.; Verein Deutscher Zementwerke e. V., Eigenverlag, Fassung Juni 2015
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