Ansatz zur digitalen Prozessregelung mit bildbasierter Frischbetonprüfung
Die Qualitätsprüfung spielt eine entscheidende Rolle für eine zielsichere Frischbetonproduktion. Neben der Konsistenz sind weitere quantitative Parameter für eine umfassende Bewertung der Eigenschaften notwendig. Im vorliegenden Beitrag wird ein Ansatz zur digitalen Prozessregelung im Rahmen der Betonfertigteilproduktion vorgestellt.
Einleitung
Die Anforderungen an Betonfertigteile oder Betonwaren werden heutzutage immer präziser formuliert. Neben der Druckfestigkeit ergeben sich Ansprüche u. a. an die geometrische Form (z. B. Geometrie oder Maßhaltigkeit), die Oberflächenbeschaffenheit (Struktur, Farbe, Ebenheit, etc.) als auch an weitere Sonder-Eigenschaften. Insbesondere die Anforderungen an die Oberflächenbeschaffenheit werden dabei sowohl durch die Fertigung als auch durch die Betonzusammensetzung beeinflusst. So führen z. B. bereits geringe Schwankungen im Wassergehalt bzw. im w/z-Wert zu einer visuell wahrnehmbaren veränderten Helligkeit der Betonoberfläche [1]. Darüber hinaus werden zunehmend komplexere Zusammensetzungen mit einer Vielzahl von verschiedenen Ausgangsstoffen eingesetzt. Dies resultiert zum einen aus der zwingend erforderlichen Reduktion der Umwelteinwirkungen bei der Betonherstellung als auch infolge der immer weiter gesteigerten Leistungsfähigkeit der Betone. Solche komplexen Betonzusammensetzungen reagieren jedoch häufig mit einer verminderten Robustheit auf mögliche Schwankungen in den Ausgangsstoffen oder den Randbedingungen [2]. Eine mögliche Fehlersuche bei ggf. vorliegenden und festgestellten Abweichungen wird unter Umständen enorm komplex. Gleichzeitig liegen für die Prüfung der Betoneigenschaften bisher nur sehr einfache Prüfverfahren vor. Als Prüfverfahren zur Beurteilung der Frischbetoneigenschaften wird in der DACH-Region standardmäßig das Ausbreitmaß gemäß DIN EN 12350-5 [3] eingesetzt. Aus dem Durchmesser des ausgebreiteten Frischbetons wird dabei auf das Fließverhalten bzw. die Konsistenz des Betons geschlossen. Weitere quantitativ bewertbare Informationen können mit diesem Prüfverfahren bisher nicht erlangt werden. Einzig erkennt die erfahrende baustoffprüfende Person visuell vereinzelte Merkmale an der Oberfläche des Frischbetons, wie z. B. die Agglomeration grober Gesteinskörnung oder Leimabsonderungen, die eine subjektive Abschätzung von Eigenschaften gestatten.
Die Qualitätsprüfung spielt eine entscheidende Rolle für eine zielsichere Frischbetonproduktion. Neben der Konsistenz sind weitere quantitative Parameter für eine umfassende Bewertung der Eigenschaften notwendig. So gilt es, neben betontechnologischen Parametern (z. B. Konsistenz oder Homogenität) auch stoffliche Parameter der Betonzusammensetzung (z. B. Korngrößenverteilung oder Leim- bzw. Wassergehalt) möglichst umfassend zu erfassen. Bei der Herstellung von Betonfertigteilen oder Betonwaren lassen sich zwei grundsätzliche Prinzipien in Abhängigkeit des Zeitpunktes bzw. Produktionsfortschrittes zur Qualitätsprüfung definieren [4]:
i) Produktionsbegleitende Prüfung der Ausgangsstoffe, Zwischenprodukte (insb. Frischbeton) und Fertigungsschritte;
ii) Prüfung des fertigen erhärtenden Endproduktes.
Die standardisierte Anwendung von Prinzip ii) ist heutzutage bereits Stand der Technik im Bereich der Produktion von Betonfertigteilen oder Betonwaren. Zur Realisierung von Prinzip i) werden zwar immer mehr Prozesse und Methoden entwickelt und in den Herstellungsprozess integriert, eine Erfassung von Störeinflüssen bzw. Qualitätsabweichungen des Frischbetons in Echtzeit bis hin zur digitalen Qualitätsregelung ist bisher jedoch noch nicht möglich. Insbesondere die hohe Nachfrage nach Betonfertigteilen (z. B. die gestiegene Nachfrage an Betonfertigteilwänden und -decken im Jahr 2020 um 3,5 % ggü. VJ auf rd. 31,9 Mio. m² [5]) und die durch die diskontinuierliche Produktion resultierenden enormen Wiederholungsraten bei der Frischbetonherstellung, prädestinieren die Branche zur Einführung von digitalen Methoden sowohl zur Qualitätsprüfung als auch speziell zur digitalen Qualitätsregelung. Erste Ansätze zur digitalen produktionsbegleitenden Prüfung der Gesteinskörnung werden in [6, 7] vorgestellt. Weitere Methoden zur digitalen Qualitätsprüfung und -regelung während der gesamten Prozesskette von der Frischbetonherstellung bis zum Einbau sind darüber hinaus u.a. in [8, 9] enthalten.
Im vorliegenden Beitrag wird ein Ansatz zur digitalen Prozessregelung der Frischbetoneigenschaften im Rahmen der Betonfertigteilproduktion vorgestellt. Der Ansatz basiert auf einer Methodik zur bildbasierten Bewertung von (Frisch-)Betoneigenschaften im Rahmen der Ausbreitmaßprüfung. Die bildbasierte digitale Bewertung der Eigenschaften bietet die Möglichkeit, die ermittelten Eigenschaftskennwerte unmittelbar in eine digitale Prozess- bzw. Qualitätsregelung der Betonproduktion zu integrieren, sowohl im Betonfertigteil- oder Betonwarensektor als auch im Transportbetonsektor. Festgestellte Qualitätsabweichungen können so deutlich (zeit)effizienter angepasst und die Betonproduktion entsprechend gleichmäßiger geregelt werden.
Methodenentwicklung zur bildbasierten Frischbetonprüfung
Zur Überwindung der Grenzen der subjektiven Augenscheinprüfung wurde eine bildbasierte Methodik entwickelt und validiert, die es gestattet maßgebende (Frisch-)Betoneigenschaften im Rahmen der Ausbreitmaßprüfung automatisiert zu erfassen und digital zu bewerten. Durch Anwendung photogrammetrischer Messprinzipien in Kombination mit modernen digitalen Bildanalyseverfahren und Methoden der künstlichen Intelligenz (z. B. Convolutional Neural Networks) können maßgebende (Frisch-)Betoneigenschaften aus Bilddaten des ausgebreiteten Frischbetons im Rahmen der Ausbreitmaßprüfung prädiziert werden. Das zu ermittelnde Eigenschaftsspektrum im Rahmen der Qualitätsprüfung des Frischbetons wird dadurch durch eine Vielzahl zusätzlicher Parameter bzw. Eigenschaften entscheidend erweitert.
Methodisch basiert das entwickelte Verfahren auf der Ermittlung des optisch erkennbaren Erscheinungsbildes des ausgebreiteten Frischbetons. Veränderungen der Eigenschaften aber auch der Zusammensetzung führen bei der Durchführung der Ausbreitmaßprüfung zu veränderten Oberflächeneigenschaften des ausgebreiteten Frischbetons. So können u. a. Veränderungen der Oberflächengestalt bzw. -textur als auch Veränderungen der Reflexion visuell wahrgenommen werden. Die Aufnahme und Bewertung dieser bisher rein subjektiv wahrgenommenen Merkmale galt es mit der entwickelten Methodik zu digitalisieren. Nach der Durchführung der klassischen Ausbreitmaßprüfung werden Bilder mit einer standardmäßigen Spiegelreflexkamera vom ausgebreiteten Frischbeton aufgenommen, um so automatisch Qualitätsmerkmale aus den Bilddaten anhand von ermittelten Oberflächeneigenschaften abzuleiten. Als Kennwerte bzw. Eigenschaften der ausgebreiteten Frischbetonoberfläche werden im Rahmen der bildbasierten Methodik sowohl 3D-Oberflächenkennwerte, geometrische 2D-Eigenschaften als auch reflexionsbasierte Eigenschaften in den Bilddaten ermittelt und bewertet [10]. Abb. 1 gibt einen schematischen Überblick über die einzelnen Schritte.
Zur Ermittlung der Oberflächeneigenschaften bzw. -kennwerte werden unterschiedliche digitale Auswertemethoden angewendet. So kann zum einen die Berechnung eines 3D-Modells der Frischbetonoberfläche mittels photogrammetrischen Messprinzipien erfolgen. Dazu werden mehrere Bilddaten des Frischbetons aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen. Externe Kontrollpunkte auf dem Ausbreittisch erlauben die Berechnung eines 3D-Modells aus den aufgenommenen Bilddaten. Für die Grundlagen der photogrammetrischen 3D-Rekonstruktion wird auf die Grundlagenliteratur verwiesen, z. B. [12]. Basierend auf den Daten des 3D-Oberflächenmodells können in einem weiteren Schritt 3D-Oberflächenwerte berechnet werden. 3D-Oberflächenkennwerte, z. B. gemäß DIN EN 25178-2 [13], werden u. a. in der verarbeitenden Metallindustrie (z. B. in der Blechumformung) standardmäßig zur Charakterisierung und Bewertung von Oberflächeneigenschaften eingesetzt. Im Rahmen der Methodenentwicklung wurden diese standardmäßigen Kennwerte zur Beschreibung und Bewertung der Frischbetonoberfläche adaptiert. So bietet beispielsweise der Oberflächenkennwert Sku (Kurtosis), der die Steilheit bzw. Schärfe einer Oberfläche beschreibt, eine Möglichkeit zur Bewertung von Eigenschaftsveränderungen des Frischbetons.
Anwendung der bildbasierten Methodik
Die zuvor beschriebene bildbasierte Methodik gestattet im Rahmen der Ausbreitmaßprüfung eine digitale Bewertung einer Vielzahl betontechnologischer Eigenschaften und Parameter. So können neben der Konsistenz u. a. die Korngrößenverteilung der groben Gesteinskörnung (≥ 4 mm), das Größtkorn und die Kornform, der Leimgehalt oder die Homogenität des Frischbetons unmittelbar im Rahmen der Ausbreitmaßprüfung digital anhand von Bilddaten bewertet werden [10]. Das bewertbare Eigenschaftsspektrum im Rahmen der Ausbreitmaßprüfung wird somit entscheidend erweitert, so dass eine umfassende Bewertung der Betonzusammensetzung und dessen Eigenschaften ermöglicht wird.
Zur Bewertung vereinzelter Eigenschaften, wie die Neigung zur Wasserabsonderung oder Wassergehaltsschwankungen, sind zuvor festgelegte bzw. ermittelte Soll-Werte (z. B. in der Erstprüfung) erforderlich. Im Rahmen der Ausbreitmaßprüfung ist dann ein Soll-Ist-Vergleich der Qualitätsmerkmale am Frischbeton möglich. Abweichungen, z. B. im Wassergehalt, können so zielsicher abgeschätzt werden. Abb. 2 zeigt dazu beispielhaft die Veränderung der Oberflächengestalt im 3D-Modell in Abhängigkeit einer systematischen Wasserüberdosierung (10 und 15 l/m³) bei ansonsten identischen Randbedingungen. Die in Abhängigkeit der Wasserüberdosierung visuell deutlich veränderte Oberflächengestalt lässt sich durch den Oberflächenkennwert Sku ausdrücken (vgl. Abschnitt ‘Methodenentwicklung‘ bzw. wird für eine detaillierte Beschreibung von Sku auf [10] verwiesen).
Abb. 3 zeigt dazu beispielhaft die relative Eigenschaftsveränderung des Ausbreitmaßes (a10) sowie des Oberflächenkennwertes Sku unterschiedlicher Betonzusammensetzungen in Abhängigkeit einer Wasserüberdosierung.
Deutlich ersichtlich ist, dass die Veränderung des Oberflächenkennwertes Sku stärker ausgeprägt ist als die des Durchmessers als Maß für die Konsistenz. Der Oberflächenkennwert Sku reagiert bei der Ausbreitmaßprüfung dementsprechend sensitiver auf Wassergehaltsschwankungen als das Ausbreitmaß. Demzufolge lassen sich Wassergehaltsschwankungen durch die relative Veränderung des Oberflächenkennwertes Sku mit vergrößerter Trennschärfe im Rahmen der Ausbreitmaßprüfung systematisch bewerten. Die relativ großen Streubereiche in Abb. 3 deuten an, dass eine allgemeingültige Bewertung vielfältiger Betonzusammensetzungen mit differierenden Eigenschaften nur mit gewissen Abweichungen möglich ist. Wird jedoch bereits in der Erstprüfung der Einfluss von Wassergehaltsschwankungen untersucht und somit über den Oberflächenkennwert Sku0 der Ausgangsbetonzusammensetzung ohne Wassergehaltsschwankung für den spezifischen Beton kalibriert, ist eine sehr hohe Präzision möglich. Eine solche mögliche Vorgehensweise zur Bewertung einer Wasserüberdosierung bzw. möglicher Wassergehaltsschwankungen mittels der relativen Veränderung von Sku unter Einbindung der Erstprüfung ist in Abb. 4 zusammenfassend schematisch dargestellt.
Unter der Annahme, dass mögliche Schwankungen weiterer Ausgangsstoffe (Zement, Zusatzstoffe oder verflüssigende Zusatzmittel) relativ zielsicher über die digitalen Einwaage-Daten beim Mischprozess kontrolliert werden können, bietet die Anwendung der bildbasierten Frischbetonprüfung eine einfache Methode zur Erfassung möglicher Wassergehaltsschwankungen im Produktionsprozess, z. B. infolge schwankendem Feuchtegehalt der Gesteinskörnung. Geringfügige Schwankungen im Wassergehalt beeinflussen zwar die Konsistenz des Frischbetons zumeist nur relativ gering (vgl. Abb. 3), können aber zu deutlichen Minderungen der Druckfestigkeit oder auch Veränderungen des Farbtons im Festbeton führen.
Ansatz zur digitalen Prozessregelung
Die im Rahmen dieses Beitrages vorgestellte bildbasierte Methodik stellt ein leicht handhabbares Instrument zur umfassenden digitalen Bewertung von (Frisch-)Betoneigenschaften dar. Es lassen sich sowohl stoffliche (Korngrößenverteilung, Größtkorn, Kornform oder Leimgehalt) als auch betontechnologische Eigenschaften (Konsistenz und Homogenität) in digitaler Form im Rahmen der Ausbreitmaßprüfung ermitteln und bewerten. Die bildbasierte Methodik ermöglicht demnach, die gegenwärtig u. a. stark subjektiv geprägte Qualitätsprüfung des Frischbetons in eine quantitative Bewertung relevanter (Frisch-)Betoneigenschaften zu überführen. Einen entscheidenden Vorteil stellt dabei die digitale Erfassung der Kennwerte und der Eigenschaftsbewertung dar, da demzufolge eine direkte Einbindung in den Produktionszyklus möglich ist und der Produktionsprozess digital mit Daten des Frischbetons geregelt werden kann. Festgestellte Qualitätsabweichungen können so deutlich (zeit)effizienter angepasst und der Produktionsprozess entsprechend gleichmäßiger geregelt werden. Insbesondere bei der Herstellung von Betonfertigteilen oder Betonwaren bieten sich dadurch Möglichkeiten zur digitalen Prozessregelung der Frischbetonproduktion, da dort der Wiederholungsfaktor aufgrund relativ wenig wechselnder Betonzusammensetzungen enorm hoch ist. Etwaige Schwankungen, z. B. im Feuchtegehalt der Gesteinskörnung, die zu veränderten Frischbetoneigenschaften führen, können mit der beschriebenen Methodik digital erfasst und im Produktionszyklus entsprechend berücksichtigt werden. So können entsprechende `Trends` in der Entwicklung der Eigenschaften mithilfe der digitalen Daten in sogenannten Qualitätsregelkarten (z. B. Shewhart- und CUSUM-Kontrollkarten [14]) frühzeitig erkannt und geregelt werden, vgl. Abbildung 6.
Außerdem bietet die Erhebung der digitalen Daten neue Möglichkeiten zur Einbindung von vollumfänglichen Prozessmanagementsystemen von der Entwicklung bis zur Produktion und Verarbeitung des Betons. So können z. B. auf Basis der erhobenen Daten und den daraus resultierenden erfassten Schwankungen und Eigenschaften durch Anwendung entsprechender Big-Data-Methoden nachhaltigere bzw. ressourcen-effizientere Betonzusammensetzungen entwickelt werden.